2 Tsd. gefällt das

2 Tsd. gefällt das

Alles, alles steht im Internet: guter und schlechter Rat für Suizidgefährdete, entscheidende Briefe aus dem Jahr 2007, neue Udo-Reiter-Verlautbarungen und alte Kult-Elefantenrunden.

Worauf man sich zumindest verlassen kann: Alles kommt inzwischen aus dem Internet oder könnte daher kommen, falls es das zufällig doch (noch) nicht tat.

Trauriger Beweis: Die kürzlich tickermäßig weit verbreitete Nachricht vom mutmaßlichen Selbstmord dreier Mädchen bei Cloppenburg veranlasste die DPA sowie die Medienseite des Tagesspiegel, mal bei allerhand Experten nach dem Internetbezug dieser Causa nachzufragen.

"Insgesamt sind zum Thema Selbstmord mehrere tausend Seiten zu finden, schätzt Uwe Müller, Leiter der Telefonseelsorge Berlin. Wer in Suchmaschinen Sätze wie 'Alles ist scheiße' oder 'Ich will nicht mehr leben' eingebe, würde schnell auf Seiten oder Foren zum Thema Suizid stoßen."

Sowohl Sonja Pohlmann vom Tsp. als auch die befragten Experten (ferner: ein Rechtspsychologie-Professor, ein Vertreter eines Vereins für suizidgefährdete Jugendliche, die ungenannte Facebook-Sprecherin) wissen natürlich, dass Vernetzung an sich wertneutral ist. Keiner von ihnen will das Internet "verteufeln". Zumal, wie man am Ende erfährt, das Netzwerk Facebook "im Bereich Hilfe einen Link zu der Frage, was zu tun sei, wenn jemand auf der Website 'selbstmörderischen Inhalt gepostet' hat", vorhält. Denen, die darauf stoßen (also Freunden bzw. "Freunden" derer, die solche Inhalte posteten), empfiehlt Facebook, sich "umgehend an Strafverfolgungsbehörden oder einen Notruf" zu wenden.

Die hier inhaltlich anschlussfähige Meldung aus England, dass zwei Männer im Alter von 20 und 22 Jahren wegen Postings auf Facebook, die zum Aufruhr anstifteten ("for attempting to use Facebook to 'organize and orchestrate' disorder"), zu vierjährigen Gefängnisstrafen verurteilt wurden, findet in der deutschen Presse noch kaum Niederschlag. Hier geht's zum Artikel des Guardian.

Aber die Murdoch-Affäre, deren erkannte Ausmaße immer größer werden, die wird auch hierzulande gründlich nachbereitet. Heute berichtet Ralf Sotscheck in der TAZ ("Alle wussten Bescheid: Medienzar Rupert Murdoch, Sohn James, Exchefredakteur Andy Coulson und die meisten Kollegen waren über das Anzapfen von Telefonen bei der inzwischen eingestellten britischen News of the World informiert") und kommentiert auch ("Doch im Grunde spielt es gar keine Rolle, wie informiert die Murdochs über die Lauschangriffe waren. Durch ihre verlegerische Linie haben sie diese illegalen Aktivitäten geradezu herausgefordert").

In der Süddeutschen (S. 17, derzeit nicht frei online) hat Raphael Honigstein auch eigenen Exklusiv-Content ("Nach Informationen der SZ soll Coulson" - also der ehemalige Kommunikationschef des amtierenden Premierministers David Cameron - "in einem Fall mehreren Redakteuren abgehörte Mobilfunk-Nachrichten eines Rock-Musikers in seinem Büro vorgespielt haben"). Vor allem aber geht er in die Details des Briefwechsels, der die bisherige, für die Murdochs vergleichsweise "bequeme Lesart der Affäre" aushebelte.

Auch dieser Briefwechsel steht, flankiert von viel Bonusmaterial, selbstredend im Internet. Der entscheidende, vermutlich entlarvende Brief des verurteilten Ex-Reporters Clive Goodman aus dem Mai 2007 findet sich in diesem 46-seitigen PDF-Konvolut auf Seite 39.

Rasch noch ein Blick auf dem im Vergleich so harmlosen deutschen Medienkrisen-Herd beim Mitteldeutschen Rundfunk. Gestern ging dort mal der MDR selbst "in die Offensive" (Süddeutsche, S. 17), "in die Offensive" (bild.de) und nutzte die Pressemitteilungs-Seite seines eigenen Internetauftritts, um seine Sicht bzw. die des noch amtierenden Intendanten Udo Reiter zur aktuellen Skandallage zu übermitteln. Vor allem um Wissensstand-Fragen geht es, also darum, wann genau Reiter von welchen Finanzproblemen seines Unterhaltungschefs Udo Foht wusste und sich darum zu kümmern begann.

Zumindest bei den Medienseitenressortchefs verfängt das natürlich nicht. "Richtig ist, dass das Einrichten von Controlling-Planstellen in den stürmischen Aufbaujahren nicht immer im Mittelpunkt unserer Aufmerksamkeit stand", zitiert Joachim Huber (Tsp.) und fügt hinzu: "Später auch nicht, das schreibt er nicht." "Der MDR steckt kurz vor der Intendantenwahl im Sumpf", überschreibt Michael Hanfeld seine Zusammenfassung (FAZ, S. 31).

Jetzt aber zu den heitereren Seiten des Internet. Einerseits gibt's mal wieder Neues von Nikolaus Brender, dem ehemaligen ZDF-Chefredakteur, dem kurz vor seiner Ablösung viel Sympathie zukam (siehe altes Altpapier). In der "Christ & Welt"-Beilage der Zeit (Vorabmeldung) entsinnt er sich an seine zumindest vor den Kameras wohl größte Stunde, die Elefantenrunde nach der Bundestagswahl 2005 (Youtube) und an, so schreibt er heute, die "selbstversessene und machttrunkene Putschistenpose" des gerade abgewählten Kanzlers Gerhard Schröder.

[listbox:title=Artikel des Tages[Suizidgefährdete und das Internet (Tsp.)##TAZ über die britische Presse##Antizyklität & Telekom (Dax/ TAZ)]]

Und wie der Zufall wollte (und welt.de gern verknüpft), hatte sich Schröder selbst denselben "inzwischen legendären YouTube-Clip" just für die WAMS gemeinsam mit der popliterarisch angehauchten Begleiterin Britta Stuff ("Viele spekulierten damals, er habe getrunken. Ich frage, ob ihm das peinlich sei. Keine Antwort....", "Ich: 'Sie wollten quasi den Stinkefinger zeigen?' Schröder: 'So würde ich selbst es nicht sagen...'") angeschaut.

Um jetzt noch rasch den Screenshot oben zu rechtfertigen: Diese gestern tickermäßig weit verbreitete, schön bunte Nachricht verblüfft kaum dadurch, dass sie rasch über "2 Tsd." Facebook-Fans fand, und eigentlich auch nicht dadurch, dass sie den Gossengoethe F.J. Wagner zum Hochsterilisieren des Wildpinkelns beflügelte ("Gott war es schön, als wir Wilde waren, glückliche Ureinwohner unseres Planeten, als wir nackt waren und uns nicht schämten").

Sondern dadurch, dass in den entscheidenden Momenten anachronistischerweise kein einziger Leserreporter oder Youtubehochlader zugegen gewesen sein scheint.


Altpapierkorb

+++ Wenn das Fernsehen mit der allgemeinen Informationsflut mithalten möchte, braucht es die Talkshowschwemme. Das ZDF hat verstunden und trägt dazu bei, indem es seinem Allesbereder Markus Lanz eine weitere halbe Stunde pro Woche zuschanzt, also zehn Minuten pro Tag (Süddeutsche). Was also alle interessanten ZDF-Sendungen grundsätzlich weiter nach hinten schiebt. +++

+++ Hoppsala, Max Dax (Ex-Spex) arbeitet nun für die Deutsche Telekom "und fühlt sich darin als Avantgarde" (TAZ). Zumindest in puncto Intellektualität scheint Dax der alte zu sein ("Wer sagt denn, dass man im Corporate Publishing keine Diskurse prägen kann?"). Er entreißt sogar das schöne Wort "Antizyklizität" den Analysten, die es bislang allenfalls, wenn es um den anderen DAX und dergleichen geht, benutzen. +++

+++ Nicht "so ein richtiger Coup": der Aufstieg des einstigen Politik-Ressortchefs der Bild-Zeitung, Georg Streiter, zum stellvertretenden Regierungssprecher. Vielmehr müsse der vormalige Sprecher erstmal "gegen den Eindruck ankämpfen ..., eine Art liberaler Versorgungsfall zu sein", meint Nico Fried (Süddeutsche). +++

+++ A propos Gerhard Schröder (s.o.): Gefiel allen der typische Lütgert-Film gestern in der ARD (siehe Altpapierkorb gestern)? Nein, Peter Unfried (SPON) nicht, wg. der "Moralkeule". +++ "Der heilige Krieg" hilft Guido Knopp nicht. "2,35 Millionen Zuschauer..., was einen Marktanteil von 8,7 Prozent bedeutet", hätten die erste Folge der "Doku"-Reihe am Dienstag gesehen (siehe Altpapier vom Dienstag, unten im Korb), doch "der durchschnittliche Marktanteil des ZDF liegt bei mehr als zwölf Prozent", meldet die FAZ. +++ Und empfiehlt ansonsten den Film "Die große Erbschaft" der Brüder Dubini, "der einen Bogen spannt vom Leben des Einzelnen bis zur Weltgeschichte" (WDR, heute um 23.15 Uhr). +++ Sowie die US-Fernsehserie "Entourage", die auf dem Pay-TV-Kanal Fox (Murdoch!) läuft. +++

+++ "Der Film ist aber wunderbar", empfiehlt indes Claudia Tieschky in der Süddeutschen "Anna und der Prinz" am Sonntag im ZDF mit Anna Maria Mühe sowie Tobias Moretti als Erzherzog Johann ("Dem deutschen Fernsehpublikum könnte dieser Kaiserbruder womöglich ein Begriff sein durch den Erzherzog-Johann-Jodler, der gern in Volksmusiksendungen performt wird.") +++

+++ Die Lage an der gerade offenen Flanke der Fußballfernsehrechte-Front, beim DFB-Pokal, fasst der Tsp. zusammen. +++

+++ Der Zeitungsstreik, der auch heute diverse Blätter traf, ist vorbei (DPA, AFP). +++

+++ Hübsche Hommage an Leipzig, "das neue Berlin", von einstigen Leipziger Journalismusstudenten in der TAZ. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.