Demut in der Torte

Demut in der Torte

Sie wankten mit blauen Krawatten und teils roten Ohren, aber sie fielen noch nicht: alles zur großen Ausschuss-Show mit James und Rupert Murdoch (und nicht ohne Torten-Slapstick.)

Der deutsche Fußballfan mag kein early adopter technischer Neuerungen sein. Aber ist es wirklich nötig, ihn schon jetzt, mehr als zwei Jahre zuvor, über eventuelle Änderungen der Bundesliga-Fernsehübertragungs-Rituale ab der Saison 2013/14 zu beunruhigen ("ein Fußballfan mit zwei bis drei verschiedenen Pay-TV-Abos/Receivern/Computern zu Hause, um alle Ligaspiele von Freitag bis Sonntag sehen zu können?")? Was die Fußballfans aus dem Medienressort des Tagesspiegel eher antrieb, kommt am Ende ihres Artikels zum Vorschein:

"Ein Insider sagt: Fällt James, fällt Sky Deutschland, gerät das Investment bei den Bundesliga-Medienrechten ins Wanken, denn für die Teilnahme an der neuen Vergabe-Runde muss Sky möglichst potent und solvent dastehen."

Mit James ist James Murdoch gemeint. Wenn er fällt und Sky als hundertemillionenschwerer Bundesliga-Mitbieter ausfällt, muss Bayern München am Ende Robben und Ribéry verkaufen. So berührt, was in England geschieht, auch deutsche Medien-Endverbraucher. Der Tsp. nutzt die Bundesliga-Chose nur als Weg, sich auch dem Medienthema schlechthin zu nähern, das für die Medienseiten hinten in der Zeitung längst viel zu groß geworden ist. Und es sind gewähltere Worte als z.B. die TAZ-Kriegsreporterin verwendet, die sich freut, wie "die Fratze des Bösen einen vor den Latz geknallt" kriegt (wenn sie indes von einem "piss-scheiß Verlag", "Kackverlag, geradezu" spricht, ist doch ein deutscher gemeint; wer wissen will welcher, muss hier klicken).

Damit nach London, wo James und Rupert Murdoch gestern in Begleitung von Stiefmutter bzw. Ehefrau Wendi Deng bzw. Wendi Murdoch in der ersten Reihe des Publikums vor einem Untersuchungsausschuss des britischen Parlaments erschienen. Die Medienmanager trugen beide "dunkelblaue Anzüge und weiße Hemden" (meedia.de), beide auch "blaue Krawatten", doch "die des Sohnes ist gestreift, die des Vaters gepunktet" (FTD).

Den Schlüsselsatz der gestrigen Show sprach Rupert Murdoch frühzeitig aus: "Das ist der demütigste Tag meines Lebens" (SPON, inzwischen nurmehr bei focus.de zu haben) bzw. "Dies ist der Tag meiner größten Demut" (Süddeutsche) bzw. "Das ist der demütigendste Tag meines Lebens" (TAZ).

Manche Dinge lassen sich auf englisch einfach einfacher ausdrücken. "This is the most humble day of my life" habe Murdoch sogar zweimal gesagt, so der Guardian. Richtig wichtig ist die Übersetzung nicht. Dass es sich bei den "offenbar mit den Firmenanwälten eingeübten" (taz.de) Äußerungen der Medienmogule um Sprechblasen handelte, wurde schließlich rasch klar. "Es ging ihnen in erster Linie darum zu betonen, dass sie selbst nichts wussten von den Vorgängen bei der News of the World und dass sie darüber hinaus nicht wussten, wer ihrer Angestellten wann was wusste" (Süddeutsche).

Unter den deutschen Beobachtern arbeitet die FAZ gut das grundsätzliche Paradoxe in den Sprechblasen heraus (Titelschlagzeile: "Murdoch weist 'in größter Demut' jegliche Schuld von sich", online ähnlich). Mit Details erfreuen SPON ("Murdoch reagierte auf die meisten Fragen mit einem sekundenlangen Schweigen" - und das im Zeitalter des Echtzeit-Internet!) und besonders taz.de:

"Auf Nachfragen, ob er die von Rebekah Brooks zugegebene Praxis, Polizisten für Informationen zu bezahlen, unterstütze, wurde Murdoch sauer und platschte, sozusagen als kategorischer Imperativ, mit der Hand auf den Tisch: 'Die News of the World' - Platsch! - 'macht weniger als ein Prozent von News Coporation aus' - Platsch! - das Unternehmen beschäftige '53.000 Menschen weltweit' - Platsch! -, da könne er nicht alles mitbekommen."

Der FTD fiel noch auf, wie James' Ohren vermutlich wegen mangelnder Abgebrühtheit "auffallend rot" "glühten". Und um 17.50 Uhr, nach bereits zweieinhalbstündiger Sitzung kam dann jener junge Mann, der inzwischen wohl als Comedian Jonnie Marbles (@JonnieMarbles) identifiziert ist, um Rupert Murdoch, erneut: Platsch!, "einen Teller mit matschigem Inhalt ins Gesicht zu drücken. Ob es Rasierschaum, Farbe oder Pudding ist, vermag zunächst niemand genau zu sagen" (ftd.de). Zumal Wendi Deng es sowieso wohl relativ weitgehend verhinderte.

Wer Rückschlüsse auf den britischen Humor ziehen möchte, sollte die Semantik der Sache berücksichtigen. Im englischen Sprachraum ist statt von Rasierschaum oder Pudding auch von Pie, also der Torte (quasi als Hommage an den alten Kino-Slapstick), und dann von "Humble Pie" die Rede.

Eine humorvolle Hommage an die ehemalige News of the World wiederum, das vor kurzem eingestellte Murdoch-Blatt, bietet heute die TAZ-auf ihrer Titelseite (siehe unser Foto, hier, hier).

Weitere, wieder ernstere Aspekte des Themas im Schnelldurchlauf: Der beste deutschsprachige Erklärer des Begriffs Whistleblower, Hans Leyendecker, erklärt in der Süddeutschen am Beispiel des unter noch unklaren Umständen verstorbenen Ex-NOTW-Reporters Sean Hoare, was nochmal ein Whistleblower ist. Dass gerade Aussagen Hoares die Ausschuss-Aussagen der Murdochs unglaubhaft erscheinen lassen ("'Die Befehlskette folgte einer strengen Disziplin, weswegen ich es Andy nie abgekauft habe, dass er nichts wusste. Das ist einfach Schwachsinn', sagte Hoare dem 'Guardian'"), arbeitet SPON in seinem feuchtfröhlichen Nachruf ("Er war ein Aussteiger, der die Droge Aufmerksamkeit genauso gut kannte wie den Whiskey") besser heraus.

In der TAZ lobt Steven Barnett, Kommunikationswissenschaftler aus Westminster, den "Schwergewichtsjournalismus" des Guardian, während Bill Wyman (nicht Rolling Stones, salon.com bloß) die Lage der Murdochs in den USA analysiert. Grundsätzliche Leitartikel/ Kommentare kommen natürlich auch wieder rein:

"Erst die Finanzwelt, dann Politiker mit dem Spezialgebiet Spesenrittertum, nun die Presse mit korrupten Helfern womöglich bei der Polizei. Was für eine 'Elite'!" (FAZ).

"Zum allgemeinen Erschrecken wird jetzt deutlich, dass sich über den drei Staatsgewalten der britischen Demokratie eine vierte Macht etabliert hat, die offensichtlich unangreifbar war und das klassische System von checks and balances, von wechselseitiger Kontrolle und Ausgleich, außer Kraft gesetzt hat. Unter dem Schirm von Murdochs Blättern und Fernsehsendern verschmolz die britische politische Elite zu einer Ansammlung willfähriger Höflinge, die um die Gunst des Medienfürsten buhlte" (Stefan Kornelius, Süddeutsche)

[listbox:title=Artikel des Tages[taz.de über die Murdoch-Show##ftd.de über die Murdoch-Show##SPON über Sean Hoare##Tsp. über Dokumentarfilme auf Arte]]

Rasch noch ein Blick ins Fernsehen, als Nachrichtenmagazinstoff taugen die Murdochs ja auch. Während im "heute-journal" gestern Maybritt Illner das Thema nach einem recht nichtssagenden Kurzbericht für eine abstruse Mini-Talkshow mit dem erwartungsgemäß empörten Talkshowhengst und Stern-"Chefkommentator" Hans-Ulrich Jörges nutzte, äußerte im erheblich instruktiveren Beitrag der "Tagesthemen" Annette Dittert die Ansicht, dass James Murdoch den Skandal nicht überstehen könnte. Also tatsächlich fällt (um auf die eingangs gestellte Frage zu kommen).

Und da wir nun beim Fernsehen (mehr zu Lügenfernseh- und Fernsehinformations-Debättchen folgt später im Altpapierkorb) sind: Die am Rande der Aufmerksamkeit schon öfter aufgetauchte Betroffenendebatte über die Lage des Dokumentarfilms auch im Nischensender Arte, der ihm nicht mehr lange eine Heimat zu bieten scheint, kleidet heute der Tagesspiegel in eindrucksvolle Worte. Dort berichtet Lennart Laberenz, seines Zeichens "writer, filmmaker, reporter":

"Anruf bei einer Producerin in einer gut etablierten Kölner Produktionsfirma. Sie arbeitet schon länger mit den Arte-Vorgaben: 'Während bis vor kurzem der Sonntag als familienfreundliche Bastion behandelt wurde, also wenig bis keine Konflikte behandelt werden durften, ist jetzt alle Tage Sonntag', sagt sie. Die Orientierung an der Quote pflügt das Programmschema um: Statt ernsthafter Themen geht es jetzt um schöne Bilder und nette Stimmungen. 'Am Ende macht die Programmreform aus einem Kulturkanal ein Unterhaltungsformat.' Die Welt als Wille und Vorstellung führt dann zu Produktionsreihen, die sich gerne um die Zahl Fünf gruppieren: Arte produziert Filme über fünf französische Strände, fünf große und fünf kleine Tiere, fünf Orte an der Ostsee und etliches mehr."


Altpapierkorb

+++ In der eigenen Sache der Berichte über eine im Fall des Falles (also einer Bild-Zeitungs-Attacke auf die ARD) geplante Anti-Bild-Zeitungs-Attacke der ARD legt heute Ulrike Simon in der Berliner Zeitung nach. Sie berichtet nicht bloß, dass ARD-Sprecher Stefan Wirtz den Telefonhörer "grußlos auflegte", sondern auch, worum es im Fall des Falles also gehen könnte: "Wie Bild kalkulierten Rechtsbruch begehe, wie Bild den Springer-Aktionär Deutsche Bank und den Werbepartner Lidl schone, warum Bild gar kein 'Anwalt des kleinen Mannes' sei, welche Prominente vor Bild Angst haben und welche nicht." +++ Läuft die Kampagne womöglich schon? Falls aus der GEZ-Portokasse die ARD nicht kurzfristig auch noch Vera Int-Veen eingekauft haben sollte, dann wohl noch nicht. +++

+++ Lesenswert zum Komplex Informationsfernsehen/ Fernsehinformation ist die in den letzten Wochen oft erwähnte, hier download- und bestellbare Studie "Wa(h)re Information" der Otto-Brenner-Stiftung unter anderem wegen ihrer Einblicke in die Grauzone der sog. Medienforschung/Quotenmessung. Für die dort tätigen Institutionen codieren Sender ihre Sendungen selbst z.B. als Informationssendungen. In zumindest einigen Fällen "codiert zum Beispiel die ARD ihre Sendung 'Tim Mälzer kocht' bei der AGF als Information, das ZDF die Sendung 'Küchenschlacht' und 'Wetten, dass..? - Die Promi Party'", das berichtet nun Katharina Riehl auf der Medienseite 15 der Süddeutschen. +++

+++ Fällt Wolfram Weimer, der Schöngeist, der auf mehr als einer Seite fürs Kulturressort besteht? Fällt Uli Baur, der "knorrige Nutzwert-Journalist"? Von Mächtkämpfen in der Chefredaktion des Focus berichtet die Süddeutsche ebenfalls. +++

+++ Programmreform auch im Privatfernsehen: Oliver Pocher wechselt wechselt von Sat 1 zum Kölner Privatsender! Dies die Topnews der RTLschen Jahresprogrammvorstellung in Köln, von der der Tagesspiegel ("RTL auf dem Weg zum Ü-50-Sender, sieh an"), Hans Hoff in der Süddeutschen sowie meedia.de und die BLZ ("Vielleicht gelingt RTL, was die Kollegen in München nicht geschafft haben: Ein Format zu entwickeln, das die Stärken Pochers betont, ohne seine Schwächen allzu sehr offenzulegen") berichten. +++ Der lokale Kölner Stadtanzeiger greift auf einen Bericht der Agentur DAPD zurück. +++

+++ "Auf dem Weg zur Weltherrschaft" laut Handelsblatt: Apple. +++

+++ Wenn die Murdochs alle anderen Ressorts füllen, was macht man dann auf der Medienseite? Z.B. eine "Sommerserie" starten, die "in den nächsten Wochen die besten Zweierteams des Fernsehens aufs Neue Revue passieren lassen" wird. Das tut die FAZ und beginnt mit Ernie und Bert. +++ Oder eine neue Pay-TV-Serie rund um "intrigante Herrschaften und karrieregeiles Personal" im und um englischen Landadel von 1912 besprechen. Eine solche startet mit "Downton Abbey" heute bei Sky Cinema. Daniela Zinser verkneift sich in der TAZ fast jeden Hinweis auf die Familie, der das deutsche Sky gut zur Hälfte gehört. +++

+++ Platz für einen schnellen Blick nach Turkmenistan hat die TAZ aber doch auch. +++ Während die FAZ-Medienseite selbstredend Platz für eine Betrachtung des jüngsten kleinen Thilo Sarrazin-Medien-Skandals in Berlin-Kreuzberg (siehe Altpapier gestern) hat. +++ Und in den Südsudan schaut FR-Mann Harry Nutt (BLZ) per Interview mit Roman Deckert von der wegen ihrer Unterstützung südsudanischer Medien zuletzt öfter in gehobenen Medienmedien aufgetauchten Organisation MICT. Deckert sagt über die Zeitung "The Niles": "Das Motto auf dem Titel ist ein altes sudanesisches Sprichwort, das lautet: Wer sich freut, wenn der Nachbar in Schwierigkeiten ist, ist ein Idiot." +++

Frisches Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.