Sag zum Abschied leise Service

Sag zum Abschied leise Service

Beziehungsweise: Adé, Frankfurter Rundschau. Das Ende einer deutschen Zeitungsära. Außerdem: "der Sturm der Liebe am Fjord vom Hindukusch".

Die Zeile, die dem Altpapier heute als Überschrift dient, stammt von Peter Glaser. Als er hörte, dass der Sänger Udo Jürgens bzw. dessen Texter Wolfgang Hofer eine andere seiner oder zumindest von ihm erheblich früher benutzten Zeilen, "Die Welt ist eine Google", derzeit in einem Song verwendet, war Glaser schon deshalb nicht böse, weil seine Mutter "ein großer Udo-Fan ist". Vielmehr stellte er der Welt gleich noch ein paar weitere schöne freie Zitate aus dem Themenfeld zur Verfügung (Süddeutsche/ Feuilleton; Glasers Blog "Glaserei" wird übrigens von der Stuttgarter Zeitung betrieben, die mehrheitlich zur Südwestdeutschen Medien Holding gehört, der mehrheitlich auch die Süddeutsche gehört).
Eins davon haben wir gern aufgegriffen. Damit ins eigentliche Altpapier von heute:

Dass man über Überschriften auf Spiegel Online (Überblick) nachdenken muss, kommt selten vor. Schließlich gilt Über-Überschriften-Nachdenken-Müssen als Gift für die Googlebarkeit. Über eine dort gestern um 15.14 Uhr erschienene Überschrift musste man aber doch leicht nachdenken. Was um Himmels Willen ist "Die Online-Katastrophe"? Droht dem Internet eine Katastrophe? Der Welt eine Katastrophe aus dem Internet?
Antwort gibt, mithilfe einer jener aktuell leider beliebten Atomkraftmetaphern, folgender Satz im Text:

"Aus Perspektive der gedruckten Presse war das Timing der Katastrophenserie von Japan somit eine Art Doppel-GAU: Deutlicher hatte man selten vor Augen geführt bekommen, in welchem Maße das gedruckte Werk der Echtzeit-Berichterstattung bei elektronischen Medien heutzutage hinterher hinkt."

Heißt: Früher hat von gewaltigen Katastrophen wenigstens der Einzelverkauf kostenpflichtiger Medien profitiert. Heute nicht mehr, wird mit frischen Zahlen aus dem deutschen Bahnhofsbuchhandel belegt, heute profitiert bloß noch das Internet davon. Darauf macht SPON seine Leser bzw. die zur Buchung von Werbung berechtigten Entscheider in netter Form ("Man braucht keine seherischen Fähigkeiten für die Prognose, dass alle relevanten News-Portale im nächsten Monat deutlich gesteigerte Abrufzahlen melden werden...") aufmerksam. Das Internet ist die Katastrophe für die Papierzeitungen (wobei, falls Sie auf die Fortsetzung des Artikels klicken - nötig hat Spon Klicks ja schon auch - Frank Patalong dort dann ein versöhnliches Szenario entwirft, wie das z.B. Hubert Burda oder Konstantin NevenDuMont ähnlich auch täten, in dem tolle neue iEndgeräte "das Papier funktionell in fast jeder Hinsicht übertreffen" und der alten Zeitung neue Chancen eröffnen...).

Falls Ihnen das als doch eigentlich zu gewöhnliches Zeitungsuntergangsszenario erscheint, ganz konkret Abhilfe bieten heute die Süddeutsche und ihr Internetauftritt - in Form eines klingenden Nachrufs auf die Frankfurter Rundschau. Denn, wie der DuMont-Experte Marc Felix Serrao

"aus dem Umfeld der Zeitung erfuhr, steht dem 1945 gegründeten, einst tonangebenden linken Blatt eine weitere massive Sparrunde bevor - mit Maßnahmen, die das Wesen der FR auf eine Weise beschneiden werden, dass von echter publizistischer Eigenständigkeit streng genommen keine Rede mehr sein kann."

In Köln, bei der Verlagsgruppe M. DuMont Schauberg, der die FR mehrheitlich gehört, sei beschlossen worden, dass 40 bis 50 Stellen von "noch knapp 190" Stellen wegfallen. Schon "an diesem Freitag um elf Uhr will der Verlag seine Mitarbeiter in Frankfurt über die Details informieren", also gleich morgen vormittag (wie gestern bereits die TAZ meldete). "Es ist, das darf man so pathetisch sagen, das Ende einer deutschen Zeitungsära, die mit großen Namen verbunden ist", schreibt Serrao und blickt, online teils im zweiten Teil seines Artikels, auf solche Namen, Karl-Hermann Flach oder Anton Andreas Guha etwa, zurück.

Weitere, kürzere und trockenere Artikel zum Thema gibt's bei kress.de und wuv.de.

[listbox:title=Artikel des Tages[Die Krise der FR (SZ)##Die der Papierzeitungen (SPON)##Sturm der Liebe am Hindukusch? (BLZ)##Reservisten pro ARD-Programm##TAZ fühlt sich in Hauptstadtpresse ein##Ein Jahr Product Placement-Bilanz (FAZ-Blog)##Peter Glasers Blog]]

Damit nicht zuviel Wehmut aufkommt: Als Lokalausgabe wird die FR sicher erhalten bleiben. An Veranstaltungshinweisen, an Servicecharakter wird es in Frankfurt am Main auch künftig auch auf Papier nicht mangeln. Doch falls Sie noch einmal rasch das Gefühl, eine im Prinzip überregionale Ausgabe der Rundschau durchzublättern, digital nachvollziehen wollen - hier stellt M. DuMont Schauberg "eine 14 Tage alte Deutschlandausgabe" des Blattes als E-Paper zur Verfügung.

Schon damit nun niemand auf die Idee kommt, die Überschrift "Sag zum Abschied leise Service" beziehe sich in dieser oder jener Form auf das quantitative Medienseiten-Topthema dieses Donnerstags, die Abschaltung des ARD-Programms in Afghanistan, geht's damit unten im Altpapierkorb weiter.


Altpapierkorb

+++ "Schreibt an eure Wahlkreisabgeordneten! Schreibt an die ARD-Vorsitzende! Sammelt Unterschriften!", ruft Gerd Höfer, der Präsident des Reservistenverbandes, aus. "'Auf dem Rücken der Soldaten, die am Hindukusch jeden Tag ihr Leben riskieren, darf nicht gespart werden', sagt er wütend", meldet jener Verband. +++ Hintergrund ist die Abschaltung der Satellitenübertragung des Programms der ARD nach Afghanistan, wo die dort aktiven Bundeswehrsoldaten künftig nur noch RTL und ZDF werden gucken können (sowie die "Tagesschau" und "sportliche Großereignisse", an denen die ARD TV-Rechte besitzt). Originalquelle natürlich: die Bild-Zeitung, die eine 2010 geplante ARD-Abschaltung gemeinsam mit dem damaligen Verteidigungsminister Dr. zu Guttenberg ja noch zu verhindern wusste. +++ Einen Überblick, wer sonst nun bereits was dazu sagte, bietet der Tagesspiegel. +++ "Jetzt wird endgültig abgeschaltet - die Soldaten der Bundeswehr schauen in die Röhre. Auch so kann man aus der Heimat Zeichen setzen", schreibt natürlich Michael Hanfeld in der FAZ (S. 35). Überschrift: "Etappenhengste". +++ Tja, nun können also Soldaten im Auslandseinsatz keinen "Tatort" mehr bzw. "Soaps wie 'Sturm der Liebe', Tiergeschichten über 'Giraffe, Erdmännchen & Co.' und Filme, die 'Die Prinzessin von St. Wolfgang' heißen und von 1957 sind", nicht mehr sehen, glossieren mehr oder weniger TAZ und Berliner Zeitung: Erlischt "der Sturm der Liebe ...am Fjord vom Hindukusch"? +++

+++ Nachklapps zur Diskussion um die Berliner Hauptstadtpresse und neumodische Dinge wie Twitter (siehe Altpapier gestern): "Wenn es aber nur noch darum geht, sich selbst darzustellen oder andere zu diskreditieren, verkommt Twitter zu einer Cybermobbing-Plattform für Medienschaffende", kommentierte Laura Stresing im Tsp.. In der FAZ (S. 35) glossiert leicht kryptisch jemand mit dem Kürzel made: "Nun macht sich die Twitter-Gemeinde über die altmodischen Journalisten lustig. Doch der Spott dürfte bei ihnen nicht ankommen. Es sei denn, sie lesen Zeitung. Oder twittern." +++ Den Vogel schießt die TAZ ab. "Ich hab das mal recherchiert. Auf Twitter, da steht doch der letzte Scheiß. Haben die Kollegen aus dem Feuilleton doch schon vor drei Jahren geschrieben. Warum ist das denn nicht schon früher weggegangen?", versucht Frédéric Valin sich in den stream of consciousness der Hauptstadtpresse einzufühlen. +++

+++ "Monica Lierhaus gibt erneut einer Springer-Publikation ein Interview", überschreibt der Tagesspiegel (Verlagsgruppe Holtzbrinck) die Meldung, in der er Höhepunkte des Lierhaus-Interviews der Hörzu zusammenfasst. Und scheint dabei irgendwie nicht auf dem Schirm zu haben, dass im Dossier der aktuellen Ausgabe der Wochenzeitung Die Zeit (Verlagsgruppe Holtzbrinck) sogar Chefredakteur Giovanni di Lorenzo höchstselbst ebenfalls Lierhaus interviewt. (Vgl. meedia.de). +++

+++ Im Rahmen einer mit Screenshots reich und sinnvoll illustrierten Bilanz von genau einem Jahr (legalen) Product Placement im Privatfernsehen gelangt das FAZ-Fernsehblog zur Befürchtung, "dass künftige Produktplatzierungen deutlich aufdringlicher sein werden, damit sie die Zuschauer besser erkennen". +++

+++ Ist Urban Priol nur einer unter vielen Gründen, vom ZDF wegzuzappen? Nein, meint Hilmar Klute auf der Medienseite der Süddeutschen und adelt ihn mit lauter scharfen Worten zur großen Nummer: "Urban Priol macht Kabarett auf dem kleinsten intellektuellen Nenner. Er ist ein entfesselter Keifer, eine affektierte Heulboje mit eingebautem Politikerhass, und seine komplett witzfreie Münchner Rede war von der eines im gerechten Zorn erstickenden Volkstribuns durch wenig zu unterscheiden." Kontext: siehe Altpapier vom Dienstag. +++ Zum "Tycoonchen" verniedlicht indes die FTD Ruperts Sohn James Murdoch. +++

+++ Mit einem "selbst für türkische Verhältnisse beispiellosen" Fall von Medienunterdrückung beschäftigt sich die TAZ. +++ Über einen argentinischen Medienpreis für Venezuelas Präsident Hugo Chávez wundern sich FAZ und (weniger ausführlich) SZ. +++

+++ Medienpolitik: Stefan Mappus wohl kaum, aber dessen Vorgänger Günther Oettinger war ganz gelegentlich auch mal als der für Medienpolitik zuständige unter den Ministerpräsidenten der CDU/ CSU aufgefallen. Wer könnten denn jetzt diese Position übernehmen, fragt ebenfalls die Süddeutsche. +++ Weiter an der Causa isharegossip.com bleibt die FAZ (S. 35). "Optimistisch, dass es uns gelingen wird, die Betreiber dingfest zu machen", äußert sich Günter Wittig von der für Internetdelikte zuständigen Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt: "Hier sind bereits Hunderte Straftaten begangen worden", nämlich üble Nachrede, Beleidigung und Verleumdung. +++ Unter der Überschrift "GEZ für alle" bietet Carta "eine gekürzte und leicht editierte Fassung des entsprechenden Kapitels aus dem Buch 'Digital ist besser' der Brüder Kai-Hinrich und Tim Renner, in dem ersterer "für eine Neuverteilung der Rundfunkabgabe" plädiert, in deren Genuss eines Tages "auch andere Journalismusangebote als die der öffentlich-rechtlichen Sender" kommen sollten. +++

+++ Und die Medienseite der Berliner Zeitung, die ja schon längst diejenige der Frankfurter Rundschau bestückt, unterhält heut "Schlapphut-Experten und interessierte Laien" mit einem großen bunten Stück über das britische Spionage-Magazin "Eye Spy". Überschrift: "Bomben, Bond und Barschel". +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.