Lauter Wow-Faktoren

Lauter Wow-Faktoren

Der "Elektrische Reporter" ist wieder da, das "Bullshit-Bingo" auch und sogar Paris Hilton. Schweiß auf der Stirn und Emphase gab es bei den Mainzer Tagen der Fernsehkritik.

Die lobende Erwähnung für die Identifizierung des derzeit in den Medien vielleicht vernachlässigsten Themas sowie das Engagement, etwas dagegen zu tun, geht an diesem Donnerstag an die DuMont-Presse (BLZ/ FR). Anne Bohlmanns Artikel "Wenn der Wow-Faktor fehlt" zeigt, dass auch wenn sich die Nachrichtenmedien gerade randvoll mit relativen breaking news anfühlen, dennoch viel mehr passiert, als in die Nachrichtenmedien dieser oder jener Form hineinpasst.

"In Gabun, Djibouti und dem Sudan haben Tausende gegen ihre Regierungen demonstriert", so wie in Ägypten, Libyen und Tunesien. Aber das geschieht bei ziemlich geringer Verbreitung von sozialen Medien und Satellitenfernsehen, und daher "weitgehend unbemerkt von westlichen Medien".Als Informationsquelle empfiehlt Bohlmann das Netzwerk Global Voices Online (das auch auf deutsch zu haben ist).

[Und falls es Sie nach einem ziemlich diametralen Gegenstück verlangt, weil Krauschwitz und Halberstadt dennoch näher zu liegen scheinen als Gabun und Djibouti, empfehlen wir das Blog heile-welten.de des Altpapier-Erfinders Christoph Schultheis. Es begleitet das von ihm mitverfasste gleichnamige Buch und beleuchtet die deutsche Provinz.]

Jetzt aber auf die medienjournalistische Agenda des unmittelbaren Tages. Gestern hier ging es ganz besonders um die ARD alias "Das Erste" (Nachklapps zu fortlaufenden Debatten unten im Altpapierkorb). Heute richten sich umso mehr Blicke aufs zweite öffentlich-rechtliche System, auf das Zweite, mit dem man dessen Angaben zufolge angeblich besser sieht.

Zum Beispiel überschlägt sich die TAZ vor Lob für "Deutschlands bekanntesten Videoblogger" und sein "Elektrischer Reporter"-Format. Dessen neueste Folge ist nun unter elektrischer-reporter.de sowie blog.zdf.de/elektrischerreporter abrufbar. Wer in Digitaldingen schief liegt und ebenso gewickelt ist, erklärt Mario Sixtus (Foto) wieder in der Form, die sich vielleicht als eine Mischung aus der Maus aus der gleichnamigen ARD-Sendung und Gerhard Delling (ebenfalls ARD) beschreiben lässt.

Gelinde Veränderungen gegenüber früher seien die Folgen eines "Freifahrtscheins" zur Formatentwicklung, den das ZDF Sixtus' Produktionsfirma namens Blinkenlichten erteilt hat, und, wow, das Ergebnis sei "sogar noch besser" als früher, meint die TAZ. Im Fernsehen lässt sich das Ganze auch ansehen, steht unter dem Artikel: "mittwochs, 23.45 Uhr, ZDF Infokanal".

Das ist einer jener digitalen Kanäle, von denen man eigentlich recht wenig hört - außer wenn wieder mal einer von ihnen umgebaut wird. Der Programmfamilienplanung des ZDF bzw. seines noch ein Jahr lang amtierenden Intendanten Markus Schächter widmet heute die Süddeutsche einen großen Artikel (S. 19, derzeit nicht frei online). Anlass ist die am 7. Mai erfolgende Umwandlung des ZDF-Theaterkanals in den Kanal ZDF-Kultur (der sich selbst lieber zdf.kultur schreiben lassen möchte).

Süddeutsche-Redakteurin Claudia Tieschky ließ sich von Daniel Fiedler, einem der Macher, sagen, dass "popkulturelle Elemente 'kanalprägend und markenbildend'" sein sollen, und Programmelemente nennen wie das "Netzkulturmagazin 'Pixelmacher', Clubkonzerte in Berlin live oder Livemusik aus Dessau in 'zdf@bauhaus'." Und, tatsächlich wow, das Kleine Fernsehspiel aus dem ersten ZDF, "hochgelobt, montagnachts versendet", soll im Kultur-Digitalkanal einen "Wiederholungsplatz am Sonntag um 20.15 Uhr" erhalten. (Mehr zum Programm bei dwdl.de)

Unklar bleibe, so Tieschky, wie sich diese Konzeptänderung auf den nichtdigitalen ZDF-Beibootsender 3sat auswirkt, der "für das ZDF strategisch nicht mehr so wichtig wie einst, als man hoffte, daraus einen zweiten Mainzer Kanal zu bauen. ZDF kultur ist gewissermaßen nach ZDF neo ja schon ZDF 3". Wobei der oben erwähnte Infokanal in dieser Berechnung noch gar nicht vorkommt.

Ebenfalls dem ZDF widmen sich gleich alle drei Artikel der FAZ-Medienseite. Neben einer in ihrem Verlauf zusehends unbegeisterteren Besprechung einer neuen US-Serie auf ZDF 2 aka ZDF-Neo ("Auf Dauer aber langweilen die Problemchen der Darlings. Es fehlt der scharfe Sarkasmus, der etwa die 'Desperate Housewives' auszeichnet... Womöglich ist es kein Zufall, dass sich niemand mehr für Paris Hilton interessierte, als ABC 'Dirty Sexy Money' im Dezember 2008 auslaufen ließ", so Nina Rehfeld) geht es um Fußballfernsehrechte, also die Champions League, die Schächter zu seinem Ausstand seinem Sender noch ersteigern möchte. Das ZDF ist neben dem Privatsenderkonzern ProSiebenSat.1 nun offizieller Bieter, meldet Michael Hanfeld und zitiert P7S1-Sprecher Julian Geist ("Falls das ZDF versucht, diese eindeutigen Regelungen", die künftigen zum Sponsoring im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, "zu umgehen, in dem es die Champions-League-Sponsoren herauskauft, dann ist das eklatante Verschwendung von Gebührengeldern...").

Was Bayerns privatfernsehfreundlicher Medienwächter Wolf-Dieter Ring gerade bei Carta zu dem Thema äußerte, zitiert Hanfeld erstaunlicherweise gar nicht. Aber der Tagesspiegel fasst es pflichtschuldig zusammen.

[listbox:title=Artikel des Tages[Berichte aus dem unbeachteten Afrika (BLZ)##Begeisterung für Sixtus (TAZ)##Bericht von den Mainzer Tagen (FR)##Das "Bullshit-Bingo" "Echo" (Carta)##SPON über isharegossip.com##heile-welten.de]]

Im dritten ZDF-Artikel der FAZ versucht Tomasz Kurianowicz eine Brücke zu schlagen zwischen äußerst allgemeingültigen Gedanken ("Wissen produziert immer wieder Nichtwissen - und wer das verschweigt, ist unseriös") zur Form, in der das ZDF-Programm mit all den weltweiten breaking news umgeht, und einem Veranstaltungsbericht zu den 44. Mainzer Tagen der Fernsehkritik, die gerade in der ZDF-Stadt stattfanden. Dort habe etwa Dietrich Leder in einer "glühenden, Peter Arens" - einem ZDF-Redaktionsleiter - "den Schweiß auf die Stirn treibende Rede" gesagt, "dass es nun mal gewisse Dinge im Leben gebe, die sich leider, leider nicht knapp erklären lassen."

Grundsätzlich scheinen die neuesten Tage der Fernsehkritik aber dennoch verlaufen zu sein wie zu erwarten war. "Ob Fukushima oder Libyen: Das ZDF klopft sich auf den Mainzer Tagen der Fernsehkritik auf die Schulter", lautet die FAZ-Überschrift. Von den "Mainzer Tagen der Selbstbeweihräucherung" berichtet Daland Segler, dem es zumindest die Performance Richard Gutjahrs, "so übertrieben" "seine Emphase" auch "wirken mochte", angetan hat. Seglers Veranstaltungsbericht empfehlen wir schon deshalb, weil exklusiv für die FR verfasste Medienartikel ja eine Rarität darstellen.

 


Altpapierkorb

+++ Natürlich gibt's auch heute ARD-Stuff. +++ Am Abend im sog. Ersten: die sensationelle Musiksause namens "Echo", von deren Ankündigungen jeder, der ab und zu Popmusiksender der ARD hört, schon fast so genervt ist wie von McDonald's-Werbung. Auf Carta erklärt Tim Renner das Prinzip dieses "Bullshit-Bingos". +++ Mit Arte-Programmdirektor Christoph Hauser ist ein zweiter Kandidat für den Saarbrücker Intendantenposten offiziell angetreten, meldet die Süddeutsche (S. 19). Ausführlicheres bei mediummagazin.de. +++ Ebenfalls in der SZ: neue Kleinigkeiten in der Sache Jurgan vs. Graeter. +++ Ausführlicher versucht ebd. Hans Hoff einen schwierigen Prozess eines gekündigten Hörfunk-Redakteurs gegen den WDR vor dem Kölner Arbeitsgericht, in dem es auch "um Fragen des Informantenschutzes" geht, in Worte zu fassen. +++

+++ Fortlaufende Diskussionen von gestern I: Wenn die ziemlich anonymen Betreiber von isharegossip.com "bis Donnerstag keine Stellungnahme abgeben, wird die Seite von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien auf den Index gesetzt - damit wäre sie beispielsweise über Suchmaschinen bald nicht mehr auffindbar", berichtet Spiegel Online, das (ebenso wie z.B. welt.de) ein ganzes Redaktionsteam auf die Cybermobbing-Seite ansetzte, und will auch von zumindest kommerziell geringem Erfolg des Angebots wissen. +++

+++ II: Die Debatte um Ranga Yogeshwar (gestern im Altpapier: Marvin Oppongs meedia.de-Beitrag) zieht Kreise zwischen der Welt, in der Kai-Hinrich Renner (Bruder des o.g. Tim und mit diesem auch gemeinsam Buch-Autor) eher contra Yogeshwar ist, und dem Freitag, dessen Redakteurin Kathrin Zinkant eher pro ist. +++ III: Neues oder zumindest noch eine Zusammenfassung zur Sache Verena Wiedemann vs. ARD liefert dwdl.de. +++

+++ Hopsala, ein US-Gericht urteilte gegen Google, und zwar in Sachen Büchereinscannen. "Der Vorgang illustriert exemplarisch das problematische Geschäftsprinzip von Google: Erst einmal machen - wen es stört, der kann sich ja melden", kommentiert die FTD und findet gut, dass das kalifornische Unternehmen "erstmals für sein Geschäftsgebaren bestraft" wird. +++  Erst recht gut findet's, klar, Jürgen Kaube im FAZ-Feuilleton. +++ Was die deutsche VG Wort meint, vermeldet der Tsp. +++ Nüchtern für Nicht-so-Eingeweihte berichtet der KSTA. +++ "Doch bei aller Freude über die Bauchlandung von Google: Wenn der Konzern es nicht machen darf, wird es in den nächsten Jahren wohl überhaupt keine gescheite Onlinebibliotheken geben" (TAZ). +++

+++ Mehr Sport: Die Sportversteher vom Tagesspiegel haben mit dem natürlich mit allen Wassern gewaschenen RTL-Sportchef Manfred Loppe über Boxen und die Formel 1 geplaudert. +++ Die Einschätzung, "der Sport überschätzt sich bisweilen" (aus Anlass einer gestrigen Anhörung vor dem Sportausschuss des Deutschen Bundestages zur Frage, ob ARD und ZDF auf die Live-Übertragung der Leichtathletik-WM verzichten dürfen) stand gestern auf der FAZ-Sportseite und ist auch frei online zu haben. +++

+++ Und dann ist da noch "Stalins Badezimmer", anhand dessen Andreas Kopietz in der Berliner Zeitung in großer Pose ("Liebe Internetgemeinde! Ich entschuldige mich. Ich habe das Heiligtum der Weisheit beschmutzt..."), aber auch netter Form einmal wieder Nachzügler darauf aufmerksam macht, dass man Wikipedia-Inhalten weder uneingeschränkt Glaubens schenken, noch sie einfach in eigene Texte übernehmen sollte. Die u.a. von der Illustrierten Stern übernommene Behauptung, in Zeiten der DDR habe der Ostberliner Volksmund der Karl-Marx-Allee diesen Namen gegeben, hat sich nämlich Kopietz erst 20 Jahre nach dem Ende der DDR (und nach zwei Gläsern Rotwein) selbst ausgedacht und in die Wikipedia eingefügt. Schreibt er zumindest in der BLZ. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.