Mindestlohn für Journalisten?

Mindestlohn für Journalisten?

Immer dieser Qualitätsjournalismus: Gestern wurde im Bundestag auch über ihn geplaudert. Außerdem: Springer verhilft zu Guttenberg und dem Iran zu eindrucksvollen Image-Erfolgen. Und: Kann man die Netzrevolution verweigern?

Eine Sternstunde jagt gerade die andere im Deutschen Bundestag. Gestern mittag erst die Guttenberg-Debatte (z.B. hier online anguckbar), die andererseits streng genommen überflüssig war, da das liebe Volk ja auch unmittelbar abgestimmt hat.

Das Ergebnis verkündet die Springer-Presse groß auf der Titelseite sowie online (mit O-Tönen, die klingen, als hätte sich die Titanic sie ausgedacht): 261.223 Bild-Zeitungs-Leser riefen "bis gestern 19.32 Uhr" an (à 14 Cent pro Anruf)

"oder schickten ein Fax. Und die Meinung der BILD-Leser ist eindeutig. 227 175 BILD-Leser (87 Prozent) fordern: GUTTENBERG MUSS BLEIBEN! 13 Prozent (34048) der BILD-Leser hingegen wollen seinen Rücktritt. Über das Ergebnis der Postsendungen werden wir nochmals berichten."

Etwas später, um 15.37 Uhr genau genommen, begann ebendort eine Anhörung zum Thema "Zukunft des Qualitätsjournalismus", die der Bundestag selbst hier (daher auch unser Screenshot) zusammenfasst. Dazu liegen ferner eine DPA-basierte Meldung des Tagesspiegels vor sowie ein live gebloggter, aber auch abschließend kommentierter Bericht von Carta.

Ein abschließendes Maßnahmenpaket zur Rettung des sog. Qualitätsjournalismus scheint auch gestern wieder nicht geschnürt worden zu sein. Wir reichen hier aber gern einen Zitatencocktail der geladenen Experten:

Das Modewort Qualitätsjournalismus "ist oft nur ein ideologischer Tarnbegriff, um reale Abbauprozesse in den Redaktionen zu kaschieren."
(Volker Lilienthal, der den Qualitätsjournalismus schon im Professorentitel führt)

"Früher haben die Verleger ihre Zeitung geliebt. Heute sind dies oft nur Flanellmännchen, die allein auf die Zahlen schauen."
(Hans Leyendecker von der Süddeutschen, der gestern dann auch noch bei der "Hart-aber-fair"-Show zu Guttenberg performte, vgl. faz.net-Frühkritik)

"Google ist nicht schuld am Niedergang der Tageszeitung. Auch ohne Google würde es den Printmedien schlecht gehen."
(zeit.de-Chefredakteur Wolfgang Blau)

“Es gibt eine zermürbende Permanenz der Krise im Journalismus"
(Wolfgang Storz, Publizist & Dr., Ex-Chefredakteur der Frankfurter Rundschau).

"17.10h Nachfrage von Lukrezia Jochimsen (Linke): Brauchen wir einen Mindestlohn für Journalismus?"

Kurz darauf, 17.25 Uhr, endete die Anhörung dann auch, wie Robin Meyer-Lucht bei Carta protokolliert, nicht ohne ein positives Fazit in fünf Punkten zu ziehen. Positiv wertet er z.B., dass

"die Behauptung einer umfassenden Umsatzkrise im Online-Journalismus als Mythos entlarvt (wurde ). Spiegel Online erklärte, man 'finanziere sich sehr erfolgreich'. Zeit Online berichtete von 50 Prozent Umsatz- und Leserwachstum gegenüber dem Vorjahr."

Dass diese eher anekdotische (oder zumindest der Auswahl der geladenen Experten geschuldete) Evidenz ausgerechnet von Carta begrüßt wird, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Aber ohne die lässt sich der sog. Qualitätsjournalismus ja sowieso oft nur schwer ertragen.

Damit zum sonstigen Tagesgeschehen: Fast so frei von Qualitätsjournalismus-Verdacht wie die Bild-Zeitung ist deren Sonntagsversion BAMS. Der macht die TAZ in Gestalt Katajin Amirpurs heute, ein paar Tage nach der geglückten Heimholung der inhaftierten Reporter durch Bundesaußenminister Guido Westerwelle, ungefähr die Vorwürfe, die bereits erwartet (siehe Altpapier vom Dienstag) wurden:

"Mit ihrem unverantwortlichen Vorgehen hat die BamS die deutsche Iranpolitik über Monate hinweg lahmgelegt. ... . BamS hat dem iranischen Regime zu einem Propagandaerfolg verholfen, ausgerechnet in einer Woche, in der die iranische Demokratiebewegung wahrlich andere Signale aus Deutschland gebraucht hätte."

Auf gutem Weg, sich zu einem anderen Gegenteil des Qualitätsjournalismus zu entwickeln, scheint der "Nachfragejournalismus" des US-Unternehmens Demand Media, der "auf das Suchmaschinenwerbegeld zugeschnittene Inhalte" in gewaltigem Ausmaß ausstößt. Es wird heute einmal wieder in der Süddeutschen (S. 17) vorgestellt, und zwar, weil das seit kurzem börsennotierte Unternehmen nun erstmals einen Gewinn ausweist. Wie das Prinzip noch mal funktioniert?

"Eine Software wertet Milliarden täglicher Suchmaschinen-Anfragen aus und verrechnet sie mit einem aktuellen Werbewert. Die als profitabel eingestuften Themen fließen in eine Datenbank, in der zu jedem Zeitpunkt mehr als 100.000 Aufträge liegen. Ein Heer von inzwischen mehr als 10.000 freiberuflichen Autoren und Amateurfilmern pumpt täglich mehr als 5000 Artikel und Videos."

Michael Moorstedt geht auch auf die Abhängigkeit Demand Medias von Google ein, das seinerseits von Demand Media profitiert und dazu neigen könnte, Nutzern immer öfter die häufig minderwertigen Demand-Inhalte als Suchergebnisse anzuzeigen.

[listbox:title=Artikel des Tages[Qualitätsjournalismus-Diskussion im Liveblog (Carta)##Springers Iranpolitik(TAZ)##Norwegische Netzrevolutionsverweigerer (ebd.)##Deutsches Hulu-Verbot? (FTD)]]

Zurück zum Qualitätsjournalismus. Uneingeschränkt um ein Exempel davon handelt es sich bei der "Du", der Jürg Altwegg auf der heute nur kleinen FAZ-Medienseite 35 "Bon anniversaire!" zum 70. Geburtstag zuruft: "Das Beste an der legendären Schweizer Kulturzeitschrift 'Du' ist ihre Vergangenheit", aber "zwischenzeitlich totgesagt, läuft das Blatt" doch wieder "zu der Form auf, mit der es Maßstäbe setzte."

Ebenfalls qualitätsjournalistisch scheint, wenn wir der TAZ vertrauen, jene norwegische Tageszeitung zu sein, deren Namen "Klassekampen" seine Bedeutung deutschen Ohren auch im Original leicht vermittelt. Reinhard Wolff stellt das Blatt vor, dessen Auflage an Norwegens geringer Größe gemessen beachtlicher wirkt als in absoluten Zahlen ("Umgerechnet auf die Einwohnerzahl in Deutschland entspräche das 220.000 Exemplaren"). Zu seinen Alleinstellungsmerkmalen gehört ein "gut überlegter Internetboykott", ja die "Verweigerung der 'Netzrevolution'":

"Unter der Adresse www.klassekampen.no werden pro Tag gerade einmal vier Texte online gestellt - je einer aus den Ressorts Inland, Ausland, Kultur und Meinung. Aktualisiert wird nicht."

Und das heißt nicht, dass hinter Bezahlschranken weitere Artikel auf User warten.

Wenn im Bundestag oder anderen interessierten Gremien mal wieder über Qualitätsjournalismus geplaudert wird, könnte also die Einladung eines norwegischen Experten vielleicht für etwas frischen Wind sorgen.


Altpapierkorb

+++ Das Bundeskartellamt scheint eine weitreichende (und angesichts der Dominanz von Google, Apple und Co befremdliche) Entscheidung gefällt zu haben und die geplante gemeinsame Onlinevideoplattform von RTL Deutschland und der ProSiebenSat1 AG aus "kartellrechtlichen Bedenken" zu untersagen - also jenes Projekt, das als "deutsches Hulu" (nach dem Vorbild des US-Fernsehsender-Joint Ventures hulu.com) seit gut einem Jahr in den Medienmedien umhergeistert. Das berichtet die FTD. +++

+++ Google lässt "knapp zwei Millionen Euro" springen, um "innovativen Journalismus" zu fördern (Tsp., googlewatchblog.de) bzw. ihm "den Weg in die digitale Zukunft zu erleichtern". +++

+++ Qualitäts-Medienjournalismus, der sich gewaschen hat: das Interview, das die Berlin/ Frankfurter DuMont-Presse mit RTL Group-Chef Gerhad Zeiler führte. Die Fragen lauten z.B.: "Wodurch hebt sich die RTL-Journalistenschule von anderen Ausbildungseinrichtungen für Journalisten ab?", "Haben da die öffentlich-rechtlichen Sender ein Defizit?", "Welchen Stellenwert nimmt die aktuelle Berichterstattung bei der RTL Group ein?", "Aber auf eine Antonia Rados wird RTL auch künftig nicht verzichten, oder?" oder "Wie erklären Sie sich, dass die deutschen Sender so gut durch die Krise gekommen sind?". Und sie werden von Zeiler auch absolut angemessen beantwortet. +++

+++ Hübscher "Eklat" bei den Tarifverhandlungen für Zeitungsjournalisten im "Verhandlungshotel in Köln" (TAZ): "Die Vertreter der Verlage hielten es für 'unzumutbar', über einen aus Protest ausgerollten Bilderteppich mit Journalistenfotos zu gehen" (dwdl.de). +++

+++ Zurück zu Gutti. Wenn das Volk entschieden hat, lässt sich Prof. Ernst Elitz in der Bild-Zeitung auch nicht lumpen. +++ In der tazzwei positioniert Jan Feddersen den Baron und seine Wirkung für seine Partei ("beschädigt ...ihren Markenkern") dort, wo er vielleicht am ehesten hingehört: neben Lena (Markenkern in Ordnung). +++ All das KT-Getalke lässt Joachim Huber (Tsp.) den Ausruf "Sonntag, Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag würgt die Redeschlange JauchPlasbergMaischbergerWillBeckmann das Abendprogramm" entfahren. +++

+++ Im selben Blatt befasst sich Markus Ehrenberg ausführlich mit der Frage, ob ARD und ZDF zugunsten des Fußball andere Sportarten wie z.B. die Leichtathletik vernachlässigen. +++ Die BLZ befasst sich mit der Rolle Facebooks in Ägypten. +++

+++ Gestern hier durchgerutscht: ein Artikel des Kölner Stadtanzeigers über die auch im jüngsten Film (also dem gestern in der ARD gesendeten "Der verlorene Sohn“) des Produzenten Oliver Berben wieder aufgetauchten "auffallend vielen Volkswagen". +++ Heute stellt dasselbe Blatt freundlich die kölsche Fernsehproduktionsfirma "Network Movie", eine ZDF-Tochter, vor. +++ Johannes B. Kerners Fernsehproduktionsfirma könnte einen neuen Auftrag ergattern (Süddeutsche). +++

+++ Mal wieder ein kleines Comeback für Sarah Kuttner (ebd.). +++ Und: äh, raffiniert, wie es das Bauerverlags-Blatt "auf einen blick" versteht, seinen Wettbewerb "Deutschlands schönster Hund" mit dem Comeback Monica Lierhaus' titelgrafisch zu verknüpfen. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.