Die Schlacht um Guttenberg

Die Schlacht um Guttenberg

Heute Gutti-Volksabstimmung (u.a. "per Telefon, Fax oder Brief!" auf bild.de)! Die FAZ hat sich schon entschieden und wechselt die Seiten. Außerdem: Facebook-Fans im "Leaderpaket" sowie die Zukunft des Fernsehens.

Und ewig verschieben sich die Zeitachsen rund um KT. Die instruktive Formulierung, dass es sich bei der Sache von und zu Guttenberg um "das schönste Beispiel für die sich durch das Internet verschiebenden Zeitachsen" handele, entstammt der schon etwas älteren "minianmerkung zur diskussion über das vermutliche guttenbergsche doktorarbeitsmashup" des Blogs hackr.de. Heute verschiebt sich vor allem bei der FAZ was, derart, dass man durchaus schon wieder "unerhört" sagen kann:

Berthold Kohler, also jener Mit-Herausgeber, der Karl-Theodor zu Guttenberg auf dessen jüngster Afghanistanreise exklusiv begleitet zu haben scheint (vgl. Altpapier vom Montag), fordert mit Formulierungen wie "Noch aber ist Deutschland eine Republik, und noch ist ein Plagiat Diebstahl geistigen Eigentums" dessen Rücktritt!

Und das, während ein anderes jener zu Guttenberg "verbundenen Verlagshäuser", die des Freiherrn "Image der Ausnahmeerscheinung" (B. Kohler) pflegen, groß auf seiner größten Titelseite, noch oberhalb des Fotos der heißen Zahnarzthelferin Yessa sowie der Meldungen "Tote Soldaten in der Heimat" und "McDonald's wird teurer", über die bekannte Unterstützung hinaus gar eine Art Volksabstimmung anberaumt ("14 Cent/ Anruf aus dem dt. Festnetz, Mobilfunk deutlich mehr"). Hier die meedia.de-XXL-Ansicht; online fordert bild.de nicht unparadox auf: "Sagen Sie der Politik Ihre Meinung und stimmen Sie ab - per Telefon, Fax oder Brief!"

Fast schon wieder subversiv, dass Kriegsberichter Nikolaus Blome im begleitenden Kommentar zur "Schlacht um Guttenbergs Zukunft" den Verteidigungsminister sozusagen in eine Reihe mit Horst Köhler stellt. Hübscher jedoch die Überschrift "Der Doktor und das liebe Volk" über dem Seite 3-Artikel der Süddeutschen (derzeit hier online zu lesen), der zu Guttenbergs Auftritt im hessischen Städtchen Kelkheim gilt (welcher auch wiederum Kohler zu seinem FAZ-Kommentar inspirierte).

Auf der Metaebene des Medienjournalismus versucht sich der Tagesspiegel dem Phänomen zu nähern. Sonja Pohlmann stellt das Guttenplag-Wiki (vgl. unser Foto), das jedem, der sich für zu Guttenberg interessiert, in den letzten Tagen 100fach begegnet ist (das aber nicht mit der Webseite guttenplag.de verwechselt werden darf, die eher pro Guttenberg gestimmt sei, auf der jedoch Google-Anzeigen "Promotionsberatung & Ghostwriter Tips" feilbieten), der ominösen Guttenberg-Fanseite auf Facebook gegenüber. Die soll, nach Angaben ihres Initiators Tobias Huch bis zum Freitag auf eine halbe Million Fans kommen und steht derzeit knapp vor der Hälfte davon.

Wie solche Facebook-Fans sich in großer Zahl generieren lassen, das bildet den ersten Strang der sich unter dem Tsp.-Artikel entspinnenden Diskussion (angeblich für 5 Cent/Fan bei Abnahme von 100.000 Fans im "Leaderpaket", Angaben des Dienstleisters facebookfanskaufen.com zufolge). Die Kooperation mit der digitalen Springer-Presse spielt aber, wie zeit.de-Chefredakteur Wolfgang Blau entdeckte, auch eine wichtige Rolle beim Fanwachstum.

Was das originale Guttenplag-Wiki angeht, so sagt der vom Tsp. befragte Experte Robin Meyer-Lucht jedenfalls (quasi noch einmal): "Das Mitmach-Recherche-Netz hat hier die Recherche-Leitmassenmedien überflügelt."

Zumindest strahlt die Fülle der Beiträge, die sich um zu Guttenberg sowohl in den Papierzeitungen wie in allen Äußerungsformen des Internets (heute ferner interessant: der von Lutz Hachmeister auf Carta publizierte Aufruf "Ein akademischer Fälscher kann kein Minister bleiben", bei dem es auch nicht ohne internen Streit der Erstunterzeichner abgegangen zu sein scheint, wie ein Blick unter den Aufruf verrät) ranken, eine fast schon beruhigende Ganzheitlichkeit des Interesses aus. Zumal es geraden in sämtlichen Talkshows des Fernsehens ebenfalls um zu Guttenberg geht, von Will am Sonntag bis zu Plasberg heute.

[listbox:title=Artikel des Tages[Schwärme für und wider Guttenberg (Tsp.)##Akademikeraufruf wider ihn(L. Hachmeister)##Gutjahrs Fernsehzukunft##Regisseurin Grosse übers graue Hannover-Dtl. (Tittelbach)##TAZ über Gehälter junger Journalisten##...übers Christiansen-Comeback]]

Was schon einen Einblick in die Meinungsvielfalt gibt, die im heißen Herbst bevorsteht, wenn endlich auch Jauch für die ARD talkt. Einen Blick in die noch etwas weiterere Zukunft des Fernsehens (zumindest gemessen an den öffentlich-rechtlichen deutschen Zeitläuften), wirft der Blogger Richard Gutjahr.

Anhand eigener Erlebnisse in Ägypten und eines konkreten Beispiels, wie an einem Abend "die meisten Fernsehzuschauer" des ZDF-"heute journals" "mit einer Fehlinterpretation schlafen" gegangen seien, stellt er das Fernsehen quasi schon neben die Zeitung ("Nicht nur, dass ich seit Jahren kein Abo mehr für eine Tageszeitung besitze, ich schaue auch immer seltener fern") und fordert einen "SmartScreen (in Analogie zum SmartPhone").

Und auch wenn Gutjahr natürlich wieder seiner häufig leicht nervtötenden Leidenschaft nachgeht, bei jeder Gelegenheit den kalifornischen Konzern Apple zu loben (hier rutscht ihm gar die missverständliche Formulierung "Steve Jobs’ letzte Schlacht" heraus) und am Rande auch vor allem das ZDF schlecht wegkommen lässt, die Aktivitäten der ARD hingegen (für deren Mitglied BR Gutjahr selber auch arbeitet) gut - an seinen Thesen dürfte schon etwas dran sein.
 


Altpapierkorb

+++ Blicke in die Vergangenheit des Fernsehens werfen heute alle gedruckten Zeitungen, weil Helmut Ringelmann, der Produzent von "Derrick" und vielen anderen Krimiserien, gestorben ist. Nachrufe gibt es in der Süddeutschen, in der BLZ von Klaudia Wick, im Tagesspiegel (mit Ringelmann-Foto) In der FAZ schreibt Nina Belz treffend (auch wenn sie darin Unrecht hat, dass Ringelmann "in Amerika mit Stanley Kubrick 'Wege zum Ruhm' gedreht" hatte, denn der Film wurde in München gedreht): "Die eher spröden Ermittler waren keine Actionhelden, von Beginn an distanzierte sich Ringelmann vom amerikanischen Thriller und prägte eine Art bundesdeutsches Biedermeier. 'Deutsch-internationale' Produktion nannte er das, in der 'die Grundgefühle menschlichen Miteinanders, Liebe, Hass, Angst, jenseits aller Angst das Publikum berühren'“) +++

+++ Die Gegenwart des Fernsehens beginnt wie immer um 20.15 Uhr. Heute im Fokus des Interesses: "Der verlorene Sohn" (ARD), Katja Flint als Mutter eines mutmaßlichen deutschen Islamisten. ""Das spannende Finale ist zwar konsequent, geht aber auf Kosten der Intensität, und ein bisschen unglaubwürdig ist es auch" (BLZ). +++ "Bis endgültige Klarheit herrscht, lotet dieser 'leise Thriller' die Familienbeziehungen aus und entwickelt sich zu einem psychologischen Kammerspiel über eine tiefe Entfremdung", räsoniert Rainer Tittelbach im Tagesspiegel (und bietet auf seiner Webseite Bonusmaterial: ein Interview mit Regisseurin Nina Grosse, die u.a. vom Schauplatz, dem "grauen, merkwürdig unbehausten Hannover-Deutschland" spricht, und eines mit Hauptdarsteller Kostja Ullmann).+++ Die "spektakuläre Zuspitzung" bzw. das "etwas überorchestrierte" Ende missfallen auch SZ und FAZ, die ferner darauf hinweisen, dass der zuletzt wiederholt in Schleichwerbeverdacht geratene Oliver Berben produziert hat (ohne Rolle für Iris!), und dass die ARD den im November 2008 abgedrehten Film nun gegen ein Champions-League-Spiel von Bayern München versendet. +++

+++ "Was Krake Paul für den Fußball war, ist Alice Schwarzer für die Gesellschaftspolitik" (TAZ-Medienkriegsberichterin Silke Burmester). +++

+++ Journalisten sind (noch) keine Pizzaboten, aber erst recht keine Lokomotivführer, zumindest gewerkschaftlich betrachtet. Die TAZ, die auch nicht gerade Tarifgehälter zahlt, kümmert sich wie immer rührend um journalistengewerkschaftliche Belange. Heute in zwei Artikeln (einer über aus der Tarifbindung ausscheidende Holtzbrinck-Lokalblätter, der längere, interessantere berichtet von drastisch sinkenden Gehältern für junge Journalisten). +++

+++ Achtung Caspar Busse, wie man eine (die neue) Sabine-Christiansen-Sendung sinn- und stilvoll verreißt (anstatt bloß "Wohlfühl-Journalismus" zu kritisieren, der z.B. dem Wirtschaftsressort der Süddeutschen ja auch nicht fremd ist), macht die TAZ vor ("Wirkliche Gesprächsmomente gab es in der Halbstundensendung für maximal drei Minuten, der Rest war Puma-Werbung"). +++

+++ Gute Einschaltquoten hatten am Montag: a) in der ARD Philipp zu Guttenberg bei der Entgegennahme des eigentlich seinem Bruder verliehenen Ordens wider den tierischen Ernst (FAZ: "Der Marktanteil der Übertragung im Ersten am Montag stieg von 12,1 Prozent im Jahr zuvor auf 13,6 Prozent, 4,63 Millionen Menschen sahen zu"). Und b) mit seinem ZDF-Krimi Markus Imboden, der Regisseur des wegen seiner mutmaßlichen Schlechtigkeit zurückgerufenen Schweizer "Tatorts" (vgl. Altpapier). +++

+++ "Erfolgsbeispiele", in denen Zuschauer über GEZ-Gebühren hinaus fürs Fernsehen bezahlen, weiß auf sueddeutsche.de (via werben und verkaufen) Sigrid Eck zu erzählen - die künftig dann auch die Leitung der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bei Discovery Networks Deutschland übernimmt (dwdl.de). +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.