Der intertextuelle Freiherr

Der intertextuelle Freiherr

Ungewöhnliche Koalitionen für und wider den künftigen Karnevalsordenträger Dr. zu Guttenberg zeigen sich gerade in der deutschen Medienlandschaft. Bloß bei Henryk M. Broder sind sich (fast) alle einig...

So übersichtlich wie sie einmal war, als die ARD den "Rotfunk" bildete und die Springer-Presse immer beinhart rechts stand, ist unsere Medienlandschaft nicht mehr.

Auf Springer freilich bleibt Verlass. Zum Beispiel in der Sache des überraschend gerade wieder nach Afghanistan gejetteten Bundesverteidigungsministers, den dieses Mal nicht Johannes B. Kerner begleitet, seit gestern aber der Verdacht, seine Doktorarbeit sei in nicht unwesentlichen Teilen ein Plagiat. Wenn etwa heute der führende Gossenschreiber der Bild-Zeitung, F.J.Wagner, sich ein "Scheiß auf den Doktor" gestattet, so meint er damit nicht die Persönlichkeit des Ministers, die außer dem Titel des Barons auch den - je nach Weltanschauung - ebenso schmückenden eines Doktors führt. Sondern allein den Titel bzw. das, was Torsten Krauel in der Welt, dem Blatt, das Springer eher für Akademiker herausgibt, feiner "wer Vorbild sein möchte, unterliegt strengeren Maßstäben als andere", formuliert: "Das bekommt der beliebte Verteidigungsminister nun zu spüren."

Ist Karl-Theodor zu Guttenbergs juristische Doktorarbeit ein medienjornalistisches Thema? Jein mit Drall zum "Ja", schließlich arbeitete die 70-jährige Literaturwissenschaftlerin Klara Obermüller, die nun "belustigt... in der Schweiz den Telefonhörer" abnahm, als die Süddeutsche anrief, als Journalistin der Weltwoche und Moderatorin des Schweizers Fernsehens. Die Süddeutsche, die gestern (unter Berufung auf die Vierteljahresschrift "Kritische Justiz" bzw. den dort publizierenden Professor Andreas Fischer-Lescano) die Vorwürfe gegen Guttenberg erhob, dreht sie heute weiter, u.a. mit dem, auch "'Scheinzitate' benutzt zu haben. So nennt der Experte Volker Rieble, Jura-Professor in München, Verweise auf Literatur, die das eigentliche Ausmaß einer Kopie verschleiern".

Das überrascht nicht, und vielleicht auch nicht, dass die Zeitung, in deren Sonntagsausgabe Obermüller einst schrieb, was zu Guttenberg womöglich später übernahm, die Neue Zürcher, unter der den auf seine Unplumpheit stolzen Freiherrn wahrscheinlich tatsächlich schmerzenden Überschrift "Plumpheit schützt vor Strafe nicht" räsonniert:

"Jeder, der ein Buch schreibt und Motive daraus dann später bei einem anderen Autor wiederfindet, denkt spontan: 'Das hat der von mir.' Dass man selbst oft auch nur aus Quellen geschöpft hat, gerät rasch in Vergessenheit. Doch so liegt der Fall hier nicht. Guttenberg fiel nicht durch die Anleihe von Gedanken auf, sondern durch fast identische Übernahme. Die aufgespürten Textstellen wirken, als seien sie mit Copy and Paste in die Dissertation eingefügt und allenfalls minim modifiziert worden. So plump, wie es Studenten heute gern bei ihren Hausarbeiten halten."

Eher aber überrascht, dass die FAZ, die dem Minister weltanschaulich gewiss näher steht, voll mit einsteigt. Sie berichtet im Feuilleton gern von "einem weiteren unausgewiesenen Zitat" ausgerechnet in den ersten Absätzen der Dokorarbeit Guttenbergs, die nämlich einem weiteren FAZ-Artikel aus dem November 1997 entstammen sollen. "Ein solcher Missgriff und Regelverstoß machen sprachlos", steht über der Online-Version von Jürgen Kaubes Artikel. Online steigt die FAZ intensiver ein und kommentiert auch im Politikbuch nicht unhämisch:

"Vor der jetzt schon von manchen herbeigesehnten Aberkennung des Titels - es geht nicht um den 'Baron' - stehen noch einige Hürden. 'Oder vernehmen wir lediglich ein erneutes, wenngleich keuchendes historisches Durchatmen?' (Guttenberg). Nein, es wird etwas hängenbleiben."

Wenn's um das eigene Archiv (und dessen Vermarktung) geht, kennt die FAZ keine Freunde, das mussten schon viele erfahren. Überraschende Verteidigung erfährt der Minister der Verteidigung jedoch auch. Guttenberg erweise sich

"... auch hier wieder ganz und gar als Avantgarde seiner Partei. Als einer, der Intertextualität annimmt und zugibt. Was bei vielen Politikerreden und -ausreden - man denke nur an austauschbare Weihnachtsansprachen, Verantwortungsabwälzungen usw. - längst geübte und anerkannte Praxis ist, kann bei Politikerdissertationen deshalb doch nicht falsch sein..."

steigt Steffen Grimberg unter der Überschrift "Karl-Theodor zu Googleberg" in die tazzwei bzw. Bütt. A propos: Unser Foto des Freiherrn stammt von der ARD, die am Montag die Festsitzung des Aachener Karnevalsvereins mit der Verleihung des Ordens "Wider den tierischen Ernst" an zu Guttenberg ausstrahlen wird. Wir sind schon jetzt gespannt, ob der Minister wieder den schicken Tarnanzug tragen wird, in dem er nach seiner circa vorletzten Rückkehr aus Afghanistan bei einer Springer-Sause performte (vgl bild.de: "Minister Guttenberg: Von der Front direkt zur Gala").

[listbox:title=Artikel des Tages[SZ ruft wg. Guttenberg in der Schweiz an##Die FAZ steigt auch ein##Die TAZ sucht das Positive##Carta übers neueste Google-Dings##Fünf Saarbrücker Kandidaten (SZ)##Frey-Bilanz der TAZ##Fernsehlotterie-Recherche des Tsp.]]

Von noch so einer etwas ungewöhnlichen Koalition berichten auf der FAZ-Medienseite 36 Maria Exner und Max Neufeind von der deutschen Studentenvereinigung der London School of Economics. Es geht um Thilo Sarrazins in deutschen Medien viel beachteten Gastauftritt in London, die Autoren sind Mitunterzeichner eines Offenen Briefes, der sich gegen die Einladung Sarrazins und Henryk M. Broders ausgesprochen hatten. Die über die Diskussion dann berichtenden deuschen Journalisten aber

"...schossen sich ... auf die friedlich Protestierenden vor Ort ein. Diese wurden als 'pöbelnde Studenten' ('Bild'), 'junge Deutsche, die eine dicke Lippe riskieren' ('Tagesspiegel') oder 'maulende Demonstranten' ('Die Welt') tituliert und in die Nähe antifaschistischer Gruppen gerückt. Eine solche hatte sich zuvor im 'Independent' geäußert. Mit unserer Kritik an der Zusammensetzung des Podiums hatte deren Statement nichts zu tun."

Außer "der Online-Ausgabe des 'Tagesspiegels'" wird auch Spiegel Online für seine Berichterstattung kritisiert. Kurz gefasst: Alle Medien, für die der inzwischen exklusive Springer-Autor Broder schrieb, stehen weiterhin auf dessen Seite, auch wenn sie eigentlich liberale Ansprüche haben.

Schade, dass dieser Artikel derzeit nicht frei online steht. Schön aber, dass die FAZ solche Artikel bringt.


Altpapierkorb

+++ Das ist Googles neuestes Dings, "One Pass", ein "Bezahlsystem für Medieninhalte im Internet" (Süddeutsche), mithin vielleicht die von Verlegern lang erwartete Konkurrenz für Apples App-Store, mit dessen neuen Regelungen diese Verleger weiterhin unzufrieden sind. +++ Ein "schönes Beispiel für politische Software", meint Robin Meyer-Lucht auf Carta: "Das Tool soll zeigen, dass Google in Sachen Qualitätsjournalismus Teil der Lösung ist – nicht Teil des Problems". Tatsächlich große Umsätze erwarte der kalifornische Konzern wohl eher nicht, aber: "Mit dem neuen Tool gibt es in Sachen Paid Content eine Ausrede weniger." +++ Doch, doch, Google will halt "auch als Abrechnungsdienstleister im Web verdienen", meint SPON. +++ Hier der Gastbeitrag des vormaligen Google-Chefs und derzeitigen Google-Außenministers Eric Schmidt in der Welt, in der er sozusagen die deutsche Wirtschaft mit dem Internet an sich vergleicht und für Berlin hübsche Ankündigungen machte. +++ Von Schmidts abendlichem Vortrag in der Humboldt-Uni, die vermutlich von diesen hübschen Ankündigungen profitieren wird, berichtet die BLZ. +++

+++ Die EU "begrüßt" die Änderungen, die Ungarns Regierung an ihrem umstrittenen Mediengesetz vorzunehmen verspricht (BLZ). +++ "Wollte ein Staat der Europäischen Union beitreten, dürfte er so etwas wie die ungarische Medienbehörde und den Medienrat gar nicht haben. Das verstieße gegen die Aufnahmekriterien". Also erweise die EU sich "als hilflos, ihren bürgerrechtlichen Ansprüchen im Inneren Geltung zu verschaffen", meint die Süddeutsche (S. 4). +++

+++ Die Trauerfeier für Fritz Raff "zeigte, dass er Freunde hatte", berichtet die Süddeutsche aus dem Saarland. Und nennt gleich fünf (!) Nachfolgekandidaten für den verstorbenen Intendanten, darunter Arte-Programmdirektor Christoph Hauser. +++

+++ ZDF-Chefredakteur Peter Frey moderierte am Dienstag zur sog. besten Sendezeit um 20.15 Uhr die neuartige Sendung "Was nun, Nahost?". "Immerhin also ein Experiment im Info-Fernsehen", meint Claudia Tieschky in der SZ. Frey, der bald ein Jahr als Nachfolger St. Nikolaus Brenders amtiert, überzeugt sowieso in vielerlei Hinsicht, würde Daniel Bouhs in der TAZ sogar sagen. +++

+++ "Wieso kriegt niemand im deutschen Fernsehen eine regelmäßige Sendung am späten Abend hin, die das Tagesgeschehen unterhaltsam einordnet, ihr Publikum mit ein paar klugen Witzen überrascht und es mit ein, zwei netten Gästen in die Nacht entlässt?" (Peer Schader in der BLZ wg. Oliver Pocher u.a.). +++

+++ Und wer ist eigentlich diese gemeinnützige GmbH "ARD-Fernsehlotterie", die Monica Lierhaus so viel Geld, das aber nicht aus GEZ-Gebühren steht, bezahlen will, und "Ko-Eigenproduktionen" des NDR wie "Das unglaubliche Quiz der Tiere" herstellt? Angestachelt vom Leserinteresse gehen die Fernsehversteher vom Tagesspiegel dieser Frage nach und nennt viele Zahlen. +++ Der FAZ ist dasselbe Thema Anlass, aufzuzählen, was wer im TV verdienen soll, von Dieter Bohlen (soll pro DSDS-Staffel "auf 1,2 Millionen Euro kommen") bis zu Lottofee Franziska Reichenbacher ("soll pro Auftritt tausend Euro bekommen"). Jedenfalls zahlen ARD und ZDF "seit Jahren dafür drauf, dass sie ihren Nachwuchs zu wenig fördern", so Michael Hanfelds Fazit. +++

+++ Der, der Jochen Wegner bei focus.de nachfolgt, ist ein Boulevardmann durch und durch (meedia.de über Daniel Steil). +++

+++ Der Tsp. beschäftigt sich ferner mit Al Dschasiras Rolle in der arabischen Welt, die TAZ mit einem oppositionellen Comic der zwischen Berlin und Minsk pendelnden Weißrussin Marina Naprushkina. +++

Neues Altpapier gibt's dann wieder am Freitag.