Leaky leak

Leaky leak

Gewollte und weniger gewollte Kampagnen für das Wikileaks-Buch des einstigen Assange-Weggefährten Daniel Domscheit-Berg eskalieren digital und analog, national und international. Neu im Geschehen: Presseanwalt Eisenberg.

Die wenn nicht globale, so zumindest absolut transnationale Causa Wikileaks erhält neue, verzwickte Dynamik.

Zu der auch im Tagesgeschäft weiter unübersehbaren politischen Brisanz der Plattform (auch wenn die russische Staatsmacht die kürzlich verfügte, im Wikileaks-Zusammenhang gesehene Ausweisung des britischen Guardian-Reporters Luke Harding inzwischen relativiert hat; vgl. SZ, Tsp.) und der sozusagen sexuellen Brisanz, die ihren australischen Gründer und Haupt-Repräsentanten Julian Assange umgibt (die bekanntlich in Schweden womöglich anders be- bzw. verurteilt wird als anderswo; in London wurde darüber gerade wieder verhandelt, zumindest sofern es nicht einfach um Assanges indirekte Auslieferung in die USA geht; vgl. z.B. TAZ, SPON), dazu also kommt nun auch der human touch einer zerbrochenen Männerfreundschaft.

Beziehungsweise kommt am Freitag das Enthüllungsbuch Daniel Domscheit-Bergs, des im September 2010 im Streit geschiedenen Wikileaks-Sprechers, heraus. Sicher wird dieses Buch nicht so viel Wind machen wie im Endeffekt dasjenige Assanges gemacht haben wird, für dessen US-Ausgabe der Bertelsmann-Verlag Alfred A. Knopf schon rund 610.000 Euro gezahlt haben soll und dessen deutsche Ausgabe im April bei Kiepenheuer & Witsch (gehört zur Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck) erscheinen soll. Aber für etwas Wind wird es gut sein.

"Inside WikiLeaks/ Meine Zeit bei der gefährlichsten Website der Welt" schrieb Domscheit-Berg gemeinsam mit Tina Klopp (eigentlich Digitalredakterin bei zeit.dehier ihr frischer "Erfahrungsbericht"). Es erscheint bei Econ (und wer die Domain ullsteinbuchverlage.de sieht und noch weiß, dass der durch Monica Lierhaus' Comeback in die deutsche Showgeschichte eingeschriebene Goldene Kamera-Veranstaltungsort Ullsteinhalle heißt, weiß auch, dass Econ zu Axel Springer gehört seit 2003 nicht mehr gehört, sondern zu Bonnier; siehe Kommentare unten).

Dass das wie gesagt am Freitag (auch in anderen Sprachen anderswo) offiziell erscheinende Buch des bekannten Leakers schon geleakt worden ist (hier Auszüge aus der englischen Fassung bei cryptome.org), mag gewollt sein oder nicht. Von einem ungewollten Übersetzungsproblem, das Domscheit-Berg zu schaffen machte, berichtete das gestern hier im Altpapierkorb erwähnte Seite 3-Porträt der Süddeutschen:

"In der englischen Übersetzung hat er einen Fehler entdeckt. Auf Deutsch hat er geschrieben, Assange möge Frauen, die 22 Jahre alt seien, das sei schon immer so gewesen, egal ob er selber 16, 22 oder 38 Jahre alt war. In der Übersetzung steht, Assange möge junge Frauen, die nicht älter sein dürften als 22 Jahre. Das ist heikel. Besonders in einer Woche, in der das Auslieferungsverfahren gegen Julian Assange in eine neue Phase treten soll. Und weil Domscheit-Berg als Ingenieur sehr genau weiß, dass schon eine einzige falsche Zeile ein ganzes Programm zum Versagen bringen kann, muss er nun Schaden begrenzen."

Parallel oder zusätzlich wird zur Veröffentlichung des Buches natürlich auch eine ganz klassische Medienkampagne gefahren, zu der - einst klassischster Medienkampagnenbestandteil - ein Interview des Hauptautors in der Illustrierten Stern gehört. Das ist online nur als Vorabmeldung und Zusammenfassung zu haben (die auch auf englisch). Sie tut aber Wirkung.

Domscheit-Berg habe, als er Wikileaks im Streit verließ, nicht bloß "die von ihm geschaffene Software mitgenommen", weshalb er glaube, dass die Plattform für die Sicherheit des ihr anvertrauten Quellenmaterials "nicht mehr garantieren" könne. Sondern er hat aus diesem Grund überdies Wikileaks-Datenmaterial "sichergestellt". So die Kernaussagen im Stern.

Er hat Wikileaks-Daten "an sicheren Ort entführt", würde es netzpolitik.org formulieren, das (mit Durchstreichungen und vielen Kommentaren, auch Domscheit-Bergs selbst) die verzwickte Dynamik am ausführlichsten begleitet.

Das heißt, der (inzwischen ja die noch nicht so ungemein bekannte Plattform OpenLeaks betreibende) Leaker Domscheit-Berg ist, was seinen Buch-Content betrifft, geleakt worden, hat aber auch selber geleakt. Und zwar Wikileaks.

Aus diesem Grund spricht Assange, der eigentlich ja andere Sorgen hat (zu denen vermutlich die Option gehört, Jahre in amerikanischen Gefängnissen verbringen zu müssen) außer von "Verleumdungen" durch Domscheit-Berg auch von Daten-"Diebstahl" (SPON). Und hat sich einen deutschen Anwalt genommen: den u.a. für seine Streitbarkeit berühmten TAZ-Mitgründer und -Genossen sowie Presseanwalt Jony/ Johnny/ Johannes Eisenberg. Dessen offizielle Erklärung, in der sich Wikileaks gegen die Behauptung, es sei nicht in der Lage, Quellenmaterial sicher zu verwahren, sozusagen verwahrt, dokumentiert SPON gern.

Was die aktuelle Lage weiterverzwickt, sind einerseits eine viel kommentierte Veranstaltung der Böll-Stiftung am Dienstag, auf der auch Domscheit-Berg auftrat (siehe bzw. auch höre netzpolitik.org sowie meedia.de mit weiteren weiterführenden Links) und andererseits die internationale Eskalation der "Schlammschlacht". In dieser Hinsicht weiß erneut netzpolitik.org Neues, sowohl national (von Frank Rieger) wie auch international (vom "aktuellen Wikileaks-Co-Sprecher" Kristinn Hrafnsson).

Sicher noch erwähnenswert: Steffen Kraft, Netzpolitik-Redakteur der Wochenzeitung Freitag, der die o.g. Sache auf die Überschrift "Hat Assange Zugriff auf Wikileaks-Plattform verloren?" zuspitzte, telefonierte daraufhin gestern nachmittag mit Assanges Anwalt:

" ... Außerdem sagte Eisenberg: 'Es ist ja wohl offensichtlich, dass die Leute das Material an Wikileaks und nicht an Domscheit-Berg persönlich gegeben haben.' Auf meine Frage, wer denn nun sein Mandant sei, Julian Assange persönlich oder die Wikileaks-Organisation brach Eisenberg das Gespräch ab."

[listbox:title=Artikel des Tages[Stern über sein Domscheit-Berg-Interview##netzpolitik.org dazu##SPON über Eisenbergs Eingreifen##meedia.de über die Böll-Stiftungs-Veranstaltung##TAZ über bayrische Medienwächterkandidaten]]

Die gestern abend im Anschluss an endloses Fußballbegleitgeschwätz gesendete ARD-Doku "Weltmacht WikiLeaks?" finden wir gerade nicht inzwischen doch in der ARD-Mediathek. Es gibt ferner ein (Video-)Interview mit Filmautor Ralf Hoogestraat, in dem dieser (bei bei Min 1.55) sagt, der "technisch Hintergrund von Wikileaks funktioniert nicht mehr, wie er mal war".

Bleibt vielleicht noch, mit einem weiteren Satz aus Domscheit-Bergs Stern-Interview über die frühen, schönen Jahre von Wikileaks (und der Männerfreundschaft mit Assange), nämlich:

"Hätte die gegnerische Seite gewusst, dass wir nur zwei extrem großmäulige junge Männer mit einer einzigen Uralt-Maschine waren, hätte sie eine Chance gehabt, den Aufstieg zu stoppen" (Hervorhebung: AP),

auf einen sehr lesenswerten Artikel im SZ-Feuilleton hinzuweisen, der an Marshall McLuhans 100. Geburtstag in diesem Jahr (erst im Juli allerdings) erinnert. Autor Jan Füchtjohann nennt zunächst einige Evergreen-Zitate des Kanadiers:

"Der Pionier der Medientheorie nahm um Jahrzehnte vorweg, was er ironisch das 'elektrische Drama' nannte: Computer würden einmal alles miteinander verbinden und ein 'globales Dorf' schaffen; Raum und Zeit verschwinden in einer Geschwindigkeit, die alles simultan macht, das Private löst sich auf, und die Grenzen von gestern sind bald Geschichte",

und exemplifiziert sie. Dann schreibt er:

"In all diesen Fällen wird akzeptiert, dass Medien stärker sind als ihre Nutzer. Dass eher das Buch oder das iPad Geschichte schreibt als der menschliche Autor seiner Inhalte. Zugespitzt gesagt: Nicht wir hämmern mit dem Hammer, sondern der Hammer mit uns" (Hervorhebung: AP)

 


Altpapierkorb

+++ Jetzt aber ins klassisch zugeschnittene Medienressort: Wer wird bald als bayerische(r) Landesmedienwächter(in) hämmern? Diese nach vorn drängende Frage nimmt die TAZ heute auf. Ist es, wie gestern an dieser Stelle wg. dann besonders mangelhafter "Staatsferne" befürchtet, Siegfried Schneider? Oder doch Gabriele Goderbauer-Marchner, auch CSU, aber Journalismusprofessorin, die überdies welt.de gegenüber mit der Idee, Neun Live abschalten zu wollen, etwas Furore machte? +++ Falls sie es würde, könnte sie Neun Live dennoch nicht abschalten, weiß die FAZ-Medienseite, schließlich hat die ZAK-Kommission ("für Zulassung und Aufsicht") dessen Zulassung "bis 2019 verlängert". +++

+++ Auch interessant im SZ-Feuilleton: das Problem "Inhalte-Spam durch SEO" bzw. "Suchtreffer-Spam", wie sueddeutsche.de titelt. +++ Indes auf der Medienseite, da zeichnet Christopher Keil nochmal geduldig die Lierhaus-Causa und ihr Entstehen unter Mitwirkung Rolf Hellgardts und der Produktionsfirma "Angenehme Unterhaltungs GmbH" (die trotz ihres schönen Namens die "Goldene Kamera"-Show produziert hat) nach. +++ Ferner in der SZ: ein neuer "Radio-Tatort", "ein launiger, etwas sinnfreier Film über weibliche Brüste" sowie vor allem Chefredakteurswechsel bei gleich drei französischen Zeitungen. +++

+++ In der FAZ nimmt Michael Hanfeld mit bewährten Argumenten die gestern von der SZ vorgegebene Frage auf, wie die ARD den Schlager-Grand Prix finanzieren will ("Zwölf Millionen Euro. So viel soll die ARD der Eurovision Song Contest kosten. ... Und es wäre doch erstaunlich, wenn das reichste öffentlich-rechtliche Fernsehsystem der Welt... nicht in der Lage wäre, ein kleineres Paket zu tragen, als es das norwegische Fernsehen beim letztjährigen Song Contest schulterte"). +++ In der Hauptsache aber berichtet Cigdem Akyol (TAZ-bekannt) über Burmas Bürger-Reporter. +++

+++ Die Frage, ob "Wetten,dass...?" nach dem Samuel Koch-Unfall noch wird sein können, was es vielleicht schon längst nicht mehr war, aber immer noch sein soll, drängt anlässlich der nächsten Show am Samstag auch nach vorn (Tagesspiegel). +++ Die Frage, "wie Sportjournalisten über Frauenfußball berichten", tut's anlässlich der Frauenfußball-WM in diesem Jahr. Dazu hat der Tsp. ein Interview mit Medienforscherin Daniela Schaaf von der Deutschen Sporthochschule Köln. +++

+++ DSDS, "Ich bin ein Star! Holt mich hier raus", "Bauer sucht Frau" und "Germany's Next Topmodel" - sind das eigentlich deutsche Erfindungen? Aber nein! "Deutschland liegt bei der Anzahl exportierter Formate nur mit Mittelfeld" (BLZ). +++ Ebd. interviewt Torsten Wahl Ilja Richter. Jawohl, Ilja Richter. +++

+++ Und was es mit den "Verkaufsberatern" im Außendienst des Bauer-Verlags, die derzeit Lebensmittelhändler aufsuchen, auf sich hat ("Kontrollieren Sie wiederkehrend die Roherträge und die Renditen der einzelnen Titel und des gesamten Pressesortiments?"), berichtet Lutz Knappmann in der FTD. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.