Exit-Dramaturgien

Exit-Dramaturgien

Markus Schächter geht fast wie Sarah Knappik: freiwillig und zum richtigen Zeitpunkt. Die Suche nach seinem Nachfolger verspricht unterhaltsam zu werden.

 

"Da waren die unvermeidlichen beigen Converse-Turnschuhe zur engen Röhrenjeans, die ihn auch dann noch wie einen Pausenhof-Rebellen aussehen ließen, als er längst an der Spitze des deutschen Film-Establishments angekommen war."

Bernd Eichinger ist tot. Und auch wenn die größeren seiner Leistungen nicht zum engen Zuschnitt des Medienressorts zählen, der das Kino ausschließt und sich nun einmal eingebürgert hat - es gehörten doch auch der deutsche Fernsehfilm (z.B. "Das Mädchen Rosemarie" und andere "German Classics", Sat.1 1996) sowie der Amphibienfilm ("Baader Meinhof Komplex" in 2-mal 90 Minuten für die ARD-Degeto) dazu.

Obwohl der Tod erst am Abend bekannt wurde, bringt die Süddeutsche Zeitung aus München auf ihrer Seite 3 bereits einen großen Nachruf von Tobias Kniebe, der z.B. auch noch solch würdige Sätze enthält wie: "Seine Legende wird wachsen, wenn er nun auf dem Boulevard der Dämmerung in den Himmel der Kinonarren fährt."

Was das Würdigen der uneingeschränkten Top-Meldung des Medienressorts im engeren Sinne betrifft, des gestern "für die meisten Sendermitarbeiter und viele Beobachter völlig unerwartet" (BLZ) angekündigten Rückzugs des ZDF-Intendanten Markus Schächter von seinem Posten im März 2012, liegen Süddeutsche und FAZ gleichauf. Beide haben große Würdigungen seines Lebenswerks, deren zwischenzeitlicher Nachrufsound (Christopher Keil in der SZ, S. 17: "Er ist nie ein Himmelsstürmer gewesen, kein Entertainer im Zwirn oder fesselnder Visionär") schon dadurch aufgefangen wird, dass jeweils ein ganz frisches Schächter-Kurzinterview sie flankiert.

Das der SZ ist frei online verfügbar; das relativ längste aktuelle Schächter-Interview bietet der EPD hier bei evangelisch.de. Michael Hanfelds Einschätzung (FAZ, S. 35), dass Schächter "nie für feurige Interviews gut war", bestätigen sie alle drei.

Dennoch erntet Schächter vor allem Lob, insbesondere für seine Exit-Dramaturgie (SZ: "hat den richtigen Zeitpunkt gefunden, auszusteigen. Darin ist er bereits jetzt sehr vielen überlegen", FAZ: "geht zum denkbar besten Zeitpunkt, auch damit vermag er Kritiker zu überraschen"), aber auch für seinen "Zehnjahresplan", mit dem Hanfeld seine raffiniert aufgebaute Laudatio einleitet:

"Es ist ganz erstaunlich: Markus Schächter hat Wort gehalten. Man traut seinen Augen nicht, aber er hat seinen Plan ( ... ) umgesetzt: Das ZDF ist schuldenfrei, macht ein weithin ansehnliches und angesehenes Programm und ist zu einer Senderfamilie geworden, mit ZDFneo, dem Programm für jüngere Zuschauer, dem zweiten Sender des Zweiten. Das war des Intendanten wichtigstes Ziel. Und genau das hat er in seiner ersten Pressekonferenz im März vor neun Jahren formuliert. Ein Mann stellt einen Zehnjahresplan auf - und hält ihn ein. Wann hat es das schon einmal gegeben?"

Der Papier-FAZ-Text ist nicht mit dem eher öden faz.net-Artikel von gestern identisch. Ungefähr ähnlich argumentiert Ralf Mielke im schon erwähnten BLZ-Text.

Auf den eher dunklen Flecken auf Schächters Karriere (SZ: "Er baute Marken wie die Talkshow 'Johannes B. Kerner' auf") reitet niemand lange herum. Was tatsächlich Respekt abnötigt, ist die nicht unbedingt zu erwartende, weil nicht mehr nötige Konsequenz. Schließlich "demütigte" (SZ) ihn ja 2009 sozusagen der von Roland Koch (damals CDU, ab März 2011 Bilfinger-Berger) angeführte ZDF-Verwaltungsrat, als er den Chefredakteur Nikolaus Brender entgegen Schächters Empfehlung absägte. Inzwischen ist Brender schon recht vergessen, und die Posten im ZDF sind wieder den Wünschen der großen Parteien entsprechend besetzt, sodass Schächter (worauf er in sämtlichen Kurzinterviews gern hinweist) locker wiedergewählt werden würde, falls er wollte. Und er will dennoch nicht.

[listbox:title=Artikel des Tages[TAZ über die Schächter-Nachfolger-Suche##BLZ über Schächter##Schächter über Schächter (EPD)##SZ über Diekmann & Murdoch jr.]]

Anders sieht es und vor allem den Zeitpunkt der Tagesspiegel ("Das ZDF kommt nicht zur Ruhe. Erst der schwere Unfall eines Stunt-Kandidaten beim Show-Flaggschiff 'Wetten, dass…?' im Dezember, dann die diversen Schleichwerbungsvorwürfe, nun das..."). Gespannter in die Zukunft als die anderen Blätter, die den von Schächter so weit, wie es die Freundeskreise-Hinterzimmer-Diplomatie noch zulässt, als seinen Nachfolger favorisierten Thomas Bellut gleich ebenfalls favorisieren (BLZ; FAZ: "heißester Kandidat") sieht die TAZ. Sie lenkt erstens den Blick auf eine neue graue Eminenz der Rundfunkpolitik und schafft zweitens eine Art time pressure, die aus der nun bevorstehenden Bestimmung eines neuen ZDF-Intendanten gemäß den herrschenden Gremien-Mehrheitsverhältnissen zumindest Entertainment für Medienbeobachter machen sollte:

"Franz Josef Jung hat endlich wieder einen verantwortungsvollen Job: Der glücklose Ex-Verteidigungsminister darf für das ZDF einen neuen Intendanten suchen. Beim Zweiten leitet der CDU-Mann den mächtigen politisch 'schwarzen' Freundeskreis sowie den Richtlinien- und Koordinierungsausschuss des Fernsehrats, der noch in diesem Jahr einen Nachfolger für Markus Schächter wählen wird. Denn der aktuelle Intendant hat fertig und tritt im März 2012 ab. Dieses Zeitfenster gilt es schnell zu nutzen – zumal demnächst ja auch noch das Bundesverfassungsgericht der mangelnden Staatsferne beim ZDF den Prozess macht"


Altpapierkorb

+++Noch eine Persönlichkeit des deutschen Fernsehens, eine in der anderen Säule des Dualen Systems verankerte, ist wömöglich zum richtigen Zeitpunkt freiwillig gegangen: Sarah Knippik. "Das Immergleiche zwischen Mann und Frau, seitdem sie im Neandertal aufeinander gehockt haben, wirkt in der Dschungel-Kulisse unvermittelt, direkt, wuchtig", dichtet ungefähr daher der wohl feurigste Dschungelcamp-Beobachter des Nicht-Boulevards, Joachim Huber (Tsp.). +++ Die Bild-Zeitung selbst macht ungefähr daher heute groß mit "RTL verarscht die Dschungel-Fans" auf - einer Schlagzeile fast schon auf Erkenntnis-Augenhöhe mit "Alle Horoskope falsch? Der Astro-Schock" neulich. +++

+++ "'Bild' sieht sich selbst gern als unbequemes und kritisches Blatt. Das bekommen nicht nur, aber vor allem all jene Sportler, Schauspieler und anderen Populärgestalten zu spüren, die irgendwann mal mit der Zeitung angebandelt haben und durch Höhen und Tiefen sausen. Bild kann aber auch anders", schreibt Marc Felix Serrao (SZ) schön süffisant über Kai Diekmanns Plausch mit Rupert Murdochs Sohn James auf Hubert Burdas DLD-Sause. +++ Der von Diekmann unbemerkt gebliebenen Sensation (Murdochs Aussage "Seit gestern verdienen wir mit Sky Geld") geht im Handelsblatt Hans-Peter Siebenhaar nach. +++

+++ Ebenfalls wg. DLD fährt die FTD voll auf Google und bietet zum Themenfeld Internet/ Medien die Artikel "Schmidts Mission bei Google", "Google kündigt Hunderte neue Stellen in Deutschland an" und "Google will TV-Werbung abzapfen", was zumindest eine clevere SEO-Strategie sein könnte. +++

+++ "Ehrlich gesagt, ich glaube, das sind gar keine Journalisten. Ich glaube, das sind Clowns. Ausgediente, arbeitslose Clowns, die sich als Journalisten einschleichen, um noch irgendwie dabei zu sein" (Ob TAZ-Kriegsreporterin Silke Burmester tatsächlich aus Monte Carlo berichtet oder metaphorisch etwas völlig anderes meint - entscheiden Sie selbst!) +++

+++ Völlig jenseits der Mediennische interessant: Heute gilt der S.1-Aufmacher von FAZ und SZ Dimitri Medwedjew, aber in völlig unterschiedlicher Sache und Tonalität (SZ: "Chodorkowskij: Putin will mich ewig einsperren/ Früherer Oligarch kritisiert auch Russlands Präsidenten Medwedjew, der manipulierte Urteile dulde"; FAZ: "Medwedjew: Das Nest der Banditen muss ausgebrannt werden"). +++

+++ In der BLZ bekolumniert Marin Majica Sascha Lobos Artikel "IPcalypse Now" (webciety.de). +++

+++ Und während Carsten Maschmeyer, von Klaus-Peter Schmidt-Deguelle beraten, einen "Kreuzzug gegen NDR" startet (Kai-Hinrich Renner in der Welt), herrscht schon wieder Kontroverse um eine aktuelle ARD-Dokumentation: Klaus Scherers Film "Angriff aus dem Internet" wird von Kurt Sagatz, wie Tagesspiegel-Leser wissen, einem durchaus internetaffinen Medienjournalisten, nüchtern-protokollarisch empfohlen ("zeigt, wie schnell jeder zum Opfer von Cybergangstern werden kann"). Und in der FAZ, der eigentlich wohl internet-skeptischsten Qualitätszeitung, von Friederike Haupt (S. 35, derzeit nicht frei online) auf hohem Niveau verhöhnt ("Eine dreiviertelstündige Dokumentation über die Gefahren, die jemandem drohen, der eine Straße entlanggeht, würde wohl niemand drehen. Denn so viel kann geschehen, dass die knappe Zeit kaum reicht, es aufzuzählen: Der berüchtigte Blumentopf könnte einen beim Von-der-Fensterbank-Fallen erschlagen, ein Heiratsschwindler seine Chance wittern, ein Dieb die Handtasche schnappen, ein Geiselnehmer gleich den ganzen Menschen. ... ... Dass über die unendlich zahlreichen 'Risiken einer vernetzten Welt', wie es der NDR ausdrückt, nun der ARD-Korrespondent Klaus Scherer eine dreiviertelstündige Dokumentation gedreht hat, ist schade"). Den Film gibt's heute um 23.15 Uhr in der ARD (und anschließend sicher auch im Internet). Bei tagesschau.de gibt's schon mal einen langen Text Scherers selbst. +++

Und neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.