Der Fernseh-Aufschwung

Der Fernseh-Aufschwung

Das deutsche Fernsehen hat einen neuen Höhepunkt erreicht. Rekordverdächtig auch die Menge an Kritik, die sich allererste Vorsitzende der ARD in kürzester Zeit eingehandelt hat. Außerdem: ein CDU-Shootingstar, heiratende Royals, gefangene Reporter.

Sie könnten es gestern ganz unten im Altpapierkorb gelesen haben: Der gesamtgesellschaftliche Aufschwung, der Deutschland ergriffen hat, macht auch vor einer der allerwichtigsten Beschäftigungen seiner Bewohner nicht Halt, dem Fernsehen.

Der Berliner Tagesspiegel ist heute der Media Control-Erkenntnis nachgegangen, dass der Fernsehverbrauch mit durchschnittlich 223 Minuten pro Tag und Person auf den höchsten Stand "seit dem Start der Einschaltquotenvermarktung" (seit dem Zweiten Weltkrieg, könnte man etwas packender und nicht wirklich falsch auch formulieren) angestiegen, und das sogar ohne den sonst üblichen demografischen Wermutstropfen. Und ließ sich sich vom ARD-Medienforscher Stefan Geese sagen, dass der schöne Erfolg zur Hälfte "ausgeweiteten Erhebungsmethoden" zu verdanken ist. Seit 2010 werden sowohl zeitversetztes Fernsehen (über Festplattenrekorder und dergleichen) als auch Gäste, die auf Besuch fernschauen und vormals nicht mitgezählt wurden, einbezogen.

Die anderen fünfeinhalb Minuten täglichen Mehr-Fernsehens hingen aber mit der "gewachsenen Befriedigung von Zuschauerbedürfnissen" zusammen, so der ARD-Medienforscher. Sozusagen also mit noch beliebteren Sendungen.

Eine prima Steilvorlage, jetzt auf die besten Events des heutigen Fernsehabends zu kommen, zu deren Rudelgucken man seine Facebook-Freunde schleunig einladen sollte (nicht alles, aber einiges zu "Doctor's Diary" u.a. unten im Altpapierkorb). Oder auf die Strippenzieher hinter den Kulissen des Systems, auf die neue große Vorsitzende der ARD, Monika Piel, oder erstmal den neuen Shootingstar der CDU-Rundfunkpolitik.

Der sächsische Staatskanzlei-Chef Johannes Beermann hat zum Jahresbeginn mit der Deutschen Presseagentur ein Gespräch geführt, in dem er u.a. ARD und ZDF auffordert, sich in ihrer "Berichterstattung über die Hochzeit von Prinz William und Kate Middleton Ende April genau abzustimmen". Damit nimmt er den Bogen aus seiner Pressemitteilung vom 30. Dezember, 10.57 Uhr, auf, welche gleichzeitig ausgestrahlten Silvesterkonzerte von ARD und ZDF kritisierte.

Einen kleinen Ritterschlag empfängt Beermann bereits auf der FAZ-Medienseite 31. Der Sachse könnte "die Unionsleerstelle" in der Medienpolitik füllen, meint Michael Hanfeld, also mal wieder einen ernstnehmenden Medienpolitiker derr CDU/CSU abgeben. Bloß,

"in einem Punkt hat der CDU-Politiker nicht recht, nämlich in der Einschätzung, dass die beiden öffentlich-rechtlichen Systeme 'Geschwister' und 'keine Konkurrenten' seien. ARD und ZDF sind beides und sollen es auch sein: Geschwister und Konkurrenten."

Ob sich die rivalisierenden Geschwister ausgerechnet bei der Hofberichterstattung, einer ihrer unstrittigsten Kernkompetenzen, ausgerechnet von selten glamourös heiratenden Landespolitikern reinreden lassen, könnte aber spannend werden.

Aktuell wird aus den Rundfunkanstalten kräftig heraus geredet, wie sich auch an dieser Stelle seit Beginn 2011 zeigt. Schließlich hat die ARD eine neue große Vorsitzende, die sich schon praktisch überall jeweils exklusiv geäußert hat. All die vielen Interviews mit Sperrfrist gab Monika Piel Anfang Dezember auch deshalb, vermuteten nicht rundum gutwillige Beobachter, damit sie sich nicht in Widersprüche verheddert.

Interview-intrinsisch mag das geklappt haben, richtig grundsätzlich aber nicht. Jedenfalls fliegt der WDR-Intendantin bereits jetzt mehr Kritik um die Ohren als ihrem Vorsitzenden-Vorgänger Peter Boudhoust wohl in dessen gesamter Amtszeit. Im Schnelldurchlauf: Dirk von Gehlen wundert sich, warum Piel sich "vehement dafür einsetzen möchte, dass Apple nochmal an Dingen verdient, die der Verbraucher bereits bezahlt hat", Stefan Niggemeier wirft ihr (in direkter Anrede) vor, dass "Ihnen offenbar zentrale Gedanken des dualen Systems in Deutschland nicht bekannt sind", und Julius Endert staunt bei Carta, dass Piel "sich in einer Gewinnerzielungsverpflichtung" sieht und daher "auch noch den letzten Verleger-Kampfbegriff in das Gespräch ein(führt), indem sie von den Qualitätsmedien spricht, die von Google bedroht werden".

Letzteres bezieht sich auf Piels inzwischen frei online gestelltes Handelsblatt-Interview ("Mathias Döpfner, der Springer-Chef, denkt bei diesem Thema in die richtige Richtung. Er will eine Allianz der Qualitätsanbieter im Wettbewerb, unter anderem gegen Google, Apple und Vodafone. Die ARD steht dafür bereit").

[listbox:title=Artikel des Tages[Gründe für den Fernseh-Aufschwung (Tsp.)##CDU-Shootingstar im DPA-Gespräch##Dirk von Gehlen vs. Piel##Niggemeier vs. Piel##Carta vs. Piel##Gefangene Reporter: "Witwenschütteln"? (TAZ)##Gefangene Reporter: Solidaritätsbuch (FR)]]

Insofern bietet dieser Mittwoch jede Menge Stoff, um lebhaft über das alle angehende Megatopthema Fernsehen zu debattieren. Doch gibt es auch Dinge, die sich nicht oder kaum wegfernsehen lassen, ja, gegen die nicht einmal Appelle von "herausragenden Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Kultur, Sport und Gesellschaft" sowie natürlich Fernsehen (bei bild.de zum Durchklicken; beachten Sie evt., dass das hierzu hauptsächlich verwendete Maria Furtwängler-Foto bereits auch zur Illustration der News "'Tatort'-Kommissarin Lindholm bekommt Lover" eingesetzt wird) zu helfen scheinen.

Es geht also um die beiden im Iran gefangenen deutschen BAMS-Reporter. Zu dieser schwierigen Kiste gelingt der TAZ-Kriegsreporterin Silke Burmester heute jene Art von Provokation, die es im Medienbusiness der Äras Neven DuMont und zu Guttenberg eigentlich kaum mehr gibt. Die beiden Reporter seien ja

"zu der hier unter dem Begriff 'Witwen-Schütteln' gängigen Praxis der Bild-Leute, Verwandte von Tätern oder Opfern zu befragen, in den Iran gereist... Mit einem Touristenvisum! Wahrscheinlich zum selben Zeitpunkt, womöglich angereist in derselben Maschine. Was haben die gedacht? Dass sie als schwules Pärchen durchgehen, das zur Entspannung ein paar schöne Tage im Iran verbringen will?"

Wem das jetzt deutlich zu weit am entscheidenden Punkt vorbei geht, für den liegt am "Empfang der Springer-Zentrale in Berlin ...ein Solidaritätsbuch" für die Reporter aus, informiert Ulrike Simon viiiiel sachlicher in der Rundschau. Dort werden auch, wie inzwischen in der Bild am Sonntag, die in Deutschland bislang ungenannten Reporter erstmals vornamentlich ("der Fotograf J. und der Journalist M. ") genannt.

Das von der FR online verwendete DPA-Foto eines Personalausweis-Fotos verrät noch einen Tick mehr. Altpapierleser wissen natürlich längst, dass in der Schweizer Presse die ganzen Namen der Gefangenen bereits genannt wurden. Dort sind sie weiter nachzulesen.


Altpapierkorb

+++ Breaking Bad News für Verleger: "Verkäufe bei iPad-Magazinen gehen drastisch zurück". Die Süddeutsche hat neue Zahlen aus den USA und dröselt dazu das Dilemma auf, das schon mit der Bepreisung von Apps beginnt. Sollen sie nun teurer als Papierzeitungs-Abos sein (also "hochwertig") oder kannibalisiert das am Ende auch wieder nur? +++

+++  Das Event des heutigen Fernsehabends: die neue "Doctor's Diary"-Staffel auf RTL. Die TAZ porträtiert äußerst nett ("Scheiße, ist der nett!") den Drehbuchautor Bora Dagetkin. +++ Sehr höflich verläuft auch das Gespräch zwischen den Hauptdarstellern Diana Amft und Florian David Fitz und dem Tagesspiegel. Am Ende rät Chefarzt-Darsteller Fitz, im Falle eines Zeckenbisses einfach mal zu googeln.+++ "Wenn man Diana Amft gegenübersteht, dann ist es, als hätte einer eine Glühbirne angeknipst" (BLZ porträtiert die Hauptdarstellerin). +++

+++ Und wenn man Hinnerk Schönemann trifft, muss man erstmal klären, über welchen von dessen vielen Fernsehfilmen denn nun geredet werden soll (dies. porträtiert auch den Hauptdarsteller des heutigen ZDF-Events "Marie Brand und die letzte Fahrt"). +++

+++ Eher kein Event heut abend? Der ARD-Film "Eine Nacht im Grandhotel" ist der Süddeutschen Anlass, über die Frage "Warum sind halbgute Filme so viel unerquicklicher als richtiges Fernsehelend?" zu sinnieren. Die FAZ titelt "Da bleibt keiner wach/ Schlafes Enkelchen". +++ Doch ein Event (evangelisch.de)? +++

+++ Ein weiteres Räsonnement der Süddeutschen gilt onkelhaft Facebook bzw. "Benimmfragen im Internet" und nimmt die angebliche Statutsmeldung "God I just did the worst smelling poo ever!" einer 18-jährigen englischen Nichte zum Anlass. +++

+++ Ausführlich mit Ungarns Medienpolitik befasst sich die FAZ im Politikressort und informiert, dass dort in puncto Presse Ringier (also perspektivisch: Springer/Ringiers Osteuropa-Joint Venture) und beim Fernsehen RTL einflussreich seien. RTLs Sender bekommt den neuen Medienrat bereits zu spüren, weiß die TAZ. Er habe "reißerisch" und auf "für jugendliche Seher schockierende" Weise über einen "brutalen Brudermord" berichtet. +++

+++ "Nichtangriffspakt" zwischen FAZ-Verlag und SWMH (Süddeutsche) zumindest in Oranienburg bei Berlin aufgehoben (TAZ) +++

+++ Warum die Auflage des Magazins „Schöner Wohnen "explodiert" ist, erläutert die FAZ-Medienseite. +++ Udo Lindenberg und Reinhold Beckmann haben eine ARD-Dokumentation über
Reinhold Beckmann und die Stasi, pardon: Udo Lindenberg und die Stasi gedreht (Tsp.). +++ Merkwürdig flauscharm das Niggemeier-Blog dieser Tage, das sich auch reichhaltig illustriert mit der Burda-Zeitschrift "Viel Spaß" befasst. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.