Breaking Flausch

Breaking Flausch

ARD und FDP haben eine Gemeinsamkeit. In puncto Menschenrechte haben der Iran und China auch eine. Ungewissheit herrscht weiter über Ungarns Medienrecht.

Es ist im gerade noch laufenden Jahr doch auch wieder der sprichwörtliche Sack Reis umgefallen. Und zwar am späten Nachmittag des Montags auf daserste.de, einem der Internetauftritte der ARD. Die offensichtlich von einem Hacker dort platzierte, inhaltlich nachdenkenswerte Gaga-Meldung (derzufolge nämlich der von "Gottes Zorn" bewegte Sack in Köln eine Eule erschlagen habe) illustrierte ein Symbolfoto einer sympathischerweise lebenden Eule. Und, da es sich dank dieses Bildes - auch wenn das erheblich weniger niedlich ist als unser Symbolfoto mit Eulenkindern - ja quasi um Breaking Flausch handelte, wurde die Sache vom führenden Multiplikatoren Stefan Niggemeier effizient weiter verbreitet. Dort lässt sich auch der Originalwortlaut nachlesen.

So taucht dieser Hack heute bunt-vermischt in vielen Kontexten auf, als DPA-Meldung, in der mittwöchlichen Digitalglosse der Berlin-Frankfurter DuMont-Presse, auf der Medienseite der Süddeutschen, die mit der knappen Auskunft "Der Systemadministrator der Website sei dabei, die Spuren des Hackers zurückzuverfolgen" Spannung auf kommende Enthüllungen schürt. Sind die Digitalprofis der ARD den Cyberkriegern der Gegenwart gewachsen?

In der FAZ spannt Michael Hanfeld den Vorfall im ARD-Auftritt mit einem ähnlichen im Online-Shop der FDP zusammen, dessen karge Webseite ("Bestellen Sie jetzt Bürobedarf mit FDP-Logo") zeitweilig ein Unbekannter "mit einem Handföhn verunzierte, auf den jemand 'Rede von Guido Westerwelle? Hier drücken' gekritzelt hat". Unter der Online-Überschrift "Hacker greifen ARD und FDP an" vermutet er, beide Aktionen sollten für den gerade laufenden Chaos Computer Club-Kongress werben (womit er auch quasi auch für den Bericht darüber auf seiner Medienseite wirbt). Und auch wenn Hanfeld die Hacker bezichtigt, die von ihnen kritisierte heiße Luft selber zu verbreiten: auf die Abbildung des Föhns mag die gedruckte FAZ nicht verzichten.

Um nun abrupt vom vermischten Charakter der Medienressorts zu den bitterernsten Themen zu wechseln: Immerhin hat Guido Westerwelle in seiner Funktion als Bundesaußenminister für jene Begegnung zwischen den beiden im Iran festgehaltenen Bild am Sonntag-Reportern und jeweils einer Familienangehörigen, deren Zustandekommen gestern noch ungewiss erschien (siehe Altpapier), "den Durchbruch" (bild.de) gebracht. Heute wird diese Begegnung auf vielen Titelseiten vermeldet und mit klaren Worten oder Gesten eingeordnet.

Die Geste der FAZ: Auf ihrer Seite 2, auf der auch ein Screenshot aus dem iranischen Fernsehen die Reporter zeigt, berichtet ein weiterer Artikel aus dem Justizsystem des Iran ("Mit den beiden Hinrichtungen vom Dienstag wurden in diesem Jahr in Iran mindestens 171 Todesstrafen vollstreckt"). Die Worte der SZ per Kommentar (S.4, jetzt online inkl. Video):

"Dass sie nach elf Wochen nun erstmals ihre Angehörigen treffen durften, möchte Teheran als große humanitäre Geste verkaufen. Auch wenn sich die Reporter und ihre Familien über das Wiedersehen in Unfreiheit gefreut haben dürften, letztlich war diese inszenierte Freundlichkeit nur eine Farce."

Aus China, dem Ursprungs-Schauplatz des Bildes umfallender Reissäcke, kommt übrigens die Meldung, die die TAZ unter der etwas putzigen Überschrift "Journalist gestorben" bringt und die Süddeutsche unter der präziseren Überschrift "Chinesischer Journalist totgeprügelt" auf S. 7 eingehender verfolgt ("Reporter prangerte Missstände in Uiguren-Provinz an/ Unterdrückung wächst").

Im direkten Vergleich deutlich weniger schlimm, im europäischen Vergleich ein aktuell bleibender Aufreger: das neue oder geplante ungarische Medienrecht. Dazu führt in der TAZ Ralf Leonhard ein Interview mit dem Exilungarn und Leiter der Osteuropa-Redaktion des ORF, Paul Lendvai. In der Süddeutschen stieß Marc Felix Serrao auf ein "16-seitiges Schreiben auf Englisch", das das ungarische Justizministerium "wohl als eine Art Argumentationshilfe" schon Mitte Dezember unter konservativen EU-Parlamentariern verteilte. Und das vermeintliche Parallelen in anderen EU-Ländern, darunter Deutschland aufzählt:

"Der Zweck ist klar: Durch die vielen Vergleiche soll der Eindruck erweckt werden, dass das, was in Ungarn 2011 in Kraft tritt, europäischer Usus ist."

Serrao widerlegt diesen Eindruck in Teilen. Das steht allerdings derzeit nicht frei online, anders als "Criticisms and answers formulated on the subject of the proposed media act examined in a European context", der "wortreiche" Artikel der regierenden Ungarn.

[listbox:title=Artikel des Tages[Interview mit ProPublica-Chef (FR)##Interview mit Ungarn-Experte (TAZ)##Kommentar zur Iran/ Reporter-Sache (SZ)##Was macht das Leistungsschutzgeld? (Carta)]]

Falls jetzt Bedarf besteht, in diesem Jahr nochmal ein grundsätzlicheres Journalismuszukunfts-Interview zu lesen: Gelegenheit bieten BLZ/ FR, die mit dem Pulitzer-Preisträger und Chefredakteur der Milliardärsehepaar-Stiftung ProPublica, Paul Steiger sprachen. Bei ProPublica handele es sich, sagt Steiger, um ein "rein philanthropisches Unternehmen". Aber wie man einen Teaser gestaltet, der zum Weiterlesen animiert, das weiß Steiger gut und antwortet auf die etwas langweilige erste Frage "Herr Steiger, von welchen wichtigen Geschichten werden wir in der nächsten Zeit durch Ihre Organisation zu lesen bekommen?":

"Wenn ich Ihnen das sagte, müsste ich Sie danach umbringen."

 


Altpapierkorb
 

+++A propos Investigativjournalismus - der zehnte Tipp für investigative Journalisten: Strg+C, Strg+V (bzw. hat meedia.de beinahe auch Seymour Hersh interviewt). +++

+++ Wird 2011 etwas aus dem lang schon diskutierten Leistungsschutzgeld..., pardon: Leistungsschutzrecht für Verlage? Mario Sixtus gießt u.a. bei Carta sozusagen neuen Wein in die Debatte. +++

+++ Die kürzlich präsentierte Einigung des Springer-Verlags mit dem Grosso-Verband könnte doch nicht die bei der Bekanntgabe erhoffte grundsätzliche Wirkung haben. Denn Springer "verhandelte ...heimlich allein" und andere Verlage sind mit den Ergebnissen nicht zufrieden (Süddeutsche). +++ Dies. sorgt sich um "den Pluralismus ...in Spaniens Medienlandschaft", in welcher nun der (spanischsprachige) Nachrichtensender CNN+ zugunsten 24-stündiger Übrertragungen von "Gran Hermano" ("Big Brother") abgeschaltet wurde. +++ Und um das im ZDF "erstarrte", bloß im Digitalfernsehen lebendigere ZDF-Magazin "Wiso" sorgt sich die SZ auch. +++

+++ Den Evergreen, warum eigentlich von Arte mit ARD oder ZDF koproduzierte Filme erst bei Arte gezeigt werden und dadurch die Quoten bei ARD/ ZDF schädigen, auf die ARD/ ZDF doch so scharf sind, den spielt heute der Tagesspiegel. Gaststar: Programmdirektor Volker "Talk ist geil" Herres. +++ Außerdem macht der Tsp. auf ein DPA-Interview mit Regina Ziegler, einem der allergrößten Elche der Fernsehlandschaft (vgl. ziegler-film.com), aufmerksam. +++

+++ "epd medien" wird 2011 noch digitaler als bisher und erscheint daher seltener, nämlich nurmehr einmal pro Woche, auf Papier. Über das Angebot und seine "kleine, spitze Zielgruppe" informiert die TAZ. +++ Wie auch über den heutigen ARD-Film für eine große und breite, eher ältere Zielgruppe. +++ Über dieses Werk (für das die ARD heute allerlei Zeitungsanzeigen schaltete) schreibt Klaudia Wick (BLZ): "Was in Fernsehmärchen praktisch immer und so auch in dieser Geschichten arg zu kurz kommt, ist die Glaubwürdigkeit der wirtschaftlichen Zusammenhänge, die am Ende des Films die gierigen Schlipsträger zu Fall bringen sollen. Da wird mal hier ein wenig rumtelefoniert, dort ein Passwort geknackt, mal kommt ein hochbegabter Enkel ins Spiel, mal eine reumütige junge Arbeitskollegin. Wenn es doch nur so einfach wäre..."  +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.