JmStV nein, RfStV ja

JmStV nein, RfStV ja

Faustdicke Überraschung in der Medienpolitik: Zwar kommt die Haushaltsabgabe, nicht aber der Jugendschutz, so wie Kurt Beck und Kollegen ihn sich ausmalten.

Wie schrieb mit neckischer Verzweiflung der Jurist und Ex-Politiker Ingo von Münch am Dienstag in der FAZ? "Wenn nicht noch ein Wunder geschieht oder wenn die Ministerpräsidenten der Länder nicht noch Vernunft annehmen - beides ist in dieser Frage wohl unwahrscheinlich...", dann würde der 15. Rundfunkänderungsstaatsvertrag (RfStV) wohl unterzeichnet werden.

Nun, am Mittwoch kamen die Ministerpräsidenten der 16 Bundesländer zusammen und besprachen und unterzeichneten wie geplant dies und das. Und dennoch gab es eine relativ faustdicke Überraschung, ist eine "reine Formsache", die dieselbe Runde schon seit 2007 besprochen und im Sommer beschlossen hatte, gescheitert.

Und die Staatskanzlei Kurt Becks, des medienpolitisch wohl wichtigsten Ministerpräsidenten (der bekanntlich als Verwaltungsratsvorsitzender beim ZDF die vom damaligen Kollegen Roland Koch initiierte Nichtvertragsverlängerung für den ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender mitbeschloss und sich nach gut einjährigem Bedenken zu einem Normenkontrollantrag beim Bundesverfassungsgericht dagegen durchgerungen hat), sie "ist fassungslos", "ratlos" und planlos (Tagesspiegel).

Allerdings ist nicht der RfStV gescheitert, sondern wird, heute bei der Abstimmung im Düsseldorfer Landtag, der Jugendmedienschutzstaatsvertrag (JmStv, bei Twitter: #Jmstv) scheitern. Eine Konstruktion, bei der die Nebenbeimedienpolitiker aus den Ländern, die alles entscheiden, was im weiteren Sinne mit Medien zu tun hat, ihre, nett formuliert: Weltfremdheit, besonders eindrucksvoll bewiesen haben. Geplant waren u.a. eine ziemlich unpraktikable Altersklassifizierung für Webseiten (natürlich nur, sofern die Betreiber im Inland sitzen) und damit nur zu bestimmten Uhrzeiten abrufbare Inhalte.

"Politik ist vielleicht doch nicht ganz so beratungsresistent wie befürchtet", freut sich netzpolitik.org. "Und: die Netizens haben eine gewisse Schlagkraft bewiesen." Wer sich nicht freut: Kurt Beck. Der SPD-Mann "kündigt Sperrverfügungen an" (ebd.) - also wohl solche Internetsperren, wie sie oder deren Planung Ursula von der Leyen den Spitznamen "Zensursula" eingebracht haben, argumentiert mit Winnenden und ärgert sich über die CDU. Warum Winnenden? Unklar. Warum die CDU? Über die komplizierte Abläufe im nordrhein-westfälischen Parlament, dessen CDU-Mitglieder heute anders abstimmen wollen als geplant, informiert die TAZ.

Dagegen der RfStV (bei Twitter: no real-time results), über den auf Medienseiten schon oft berichtet wurde, er ist beschlossen (freilich: so wie der JmStV auch beschlossen war). Ab 2013 treten er und damit die Haushaltsabgabe in Kraft. Zum ordnungsgemäßen Procedere gehört, dass heute in den Kommentarspalten der Zeitungen kommentiert wird. Hat Michael Hanfeld in der FAZ etwas Zündendes zu sagen? Eher nicht:

"... in Wahrheit geht es um nichts anderes als um die in alle Ewigkeit gesicherte finanzielle Grundlage der Sender. Das Auskommen der Sender ist gesichert. Nur darum geht es bei der Reform. Mit der nächsten Gebührenerhöhung darf man spätestens 2015 rechnen."

Da haben wir Hanfeld schon zündender erlebt. Was meint Heribert Prantl in der Süddeutschen? Er garniert seinen Kommentar wie stets mit einer Metapher aus Weltliteratur oder -geschichte (heute: beides, eine vom jungen Goethe beobachtete Kaiserkrönung). Leider garniert der Jurist Prantl seinen Kommentar überdies auch mit Verkürzungen bis an den Rand der Unkenntnis:

"Es gibt zu viel Seichtes, zu viel eitles Blabla, zu viel Selbstdarstellung in gigantischen Studios; es gibt fünf Talkshows allein in der ARD pro Woche, in der vor allem die Politiker bedient werden, die dann dafür sorgen, dass es ARD und ZDF finanziell gutgeht.
(...)
Es geht nicht, dass die Programme der Öffentlich-Rechtlichen auf die Werbewirtschaft und damit Massenattraktivität ausgerichtet werden. Nicht die hohe Zuschauerquote rechtfertigt das Zwangsgeld, sondern hohe Qualität. Dieser Programmauftrag darf nicht verkauft werden. Werbung ist daher zu streichen..."

Ja mei, Herr Prantl, stimmt scho, aber was haben denn der Überfluss an Getalke und die (oft vergeblich angestrebte, angebliche) Massenattraktivität von ARD und ZDF mit dem marginalen Werberahmenprogramm zu tun, das unter 50-jährigen Zuschauern allenfalls in der ARD-"Sportschau" begegnet?

Wie man da kräftig und doch sauber argumentiert und je nachdem seine eher etwas kritische oder eher pro-öffentlich-rechtliche Haltung bewahrt, das beweisen die Ressortchefs von Tagesspiegel (Joachim Huber: "Zwangsabgabe fürs Wellness-Programm") und Berliner Zeitung (Ralf Mielke: "Bescherung für ARD und ZDF"), indem sie heute für die Meinungsseiten ihrer Blätter ihre Standardargumente ein wenig neu arrangieren.

[listbox:title=Artikel des Tages[Mainzer Staatskanzlei fassungslos (Tsp.)##Kommentar zum RfStV (BLZ)##Programmreform bei Vox (FAZ-Blog)##Rekordbetrug im Kika (TAZ)##Kerner im Interview (Tsp.)##Wikileaks-Appell zum Mitunterzeichnen (taz.de)]]

Schade, dass Hanfeld, der Prantl unter den Medienredakteuren, eine Steilvorlage aus dem eigenen Haus nicht verwandelt. Gerade wurde noch eine Programmreform beschlossen, so wie kürzlich bei der ARD (Talkshows verdrängen Dokus, aber die "Tagesthemen" bekommen eine einheitliche Anfangszeit) und beim ZDF (sehr sehr spät gezeigte Dokus beginnen früher) nun auch beim Privatsender Vox, berichtet das FAZ-Fernsehblog.

Einerseits würden Magazinsendungen mit klingenden Namen wie z.B. "Süddeutsche Zeitung TV" eingestellt, um die es, inhaltlich betrachtet allerdings nicht schade ist, wie Peer Schader belegt. Andererseits bleibt "Die große Samstags-Dokumentation" erhalten, "wie gewohnt monothematisch vier Stunden am Stück":

"Tatsächlich sind die Vox-Reportageabende am Samstag eine klare Bereicherung des Angebots im deutschen Privatfernsehen – vor allem wenn man in Betracht zieht, dass sich die übrigen Sender zu diesem Zeitpunkt mit Unterhaltung gegenseitig überbieten."

Und das ist in der Tat etwas im nicht-gebührenfinanzierten Fernsehen, das öffentlich-rechtliche Sender nicht einmal in ihren nischigsten Digitalkanälen wagen.

Womit die Öffentlich-Rechtlichen selbst aktuell für Akzeptanz werben zu wähnen müssen (und belegen, dass ihnen definitiv zu viel GEZ-Geld für Online-Unfug zur Verfügung steht): die Webseite ardzdfundsie.de die eventuell Vorurteile, ARD und ZDF würden zu wenige Krimis produzieren, eindrucksvoll (vgl. Foto oben) widerlegt.
Immerhin aber muss diese Seite jetzt nicht jugendschützerisch bewertet werden.
 


Altpapierkorb

+++ "Einen der größten Betrugsfälle in der Geschichte des öffentlich-rechtlichen Fernsehens", den circa vier Mio. Euro schweren bei einem "mit gerade mal 150 Mitarbeitern für ARD-Verhältnisse geradezu überkleinen Sender" mit 37 Mio. Euro Jahresbudget, also beim Kinderkanal, zeichnet die TAZ nach. +++ "Je höher man in der Hierarchie klettert, umso schwieriger wird der Nachweis, dass hier Missbrauch getrieben wurde", sagte Programmgeschäftsführer Steffen Kottkamp zur FAZ und kündigte schärfere Kontrollen an, also: "Mehr Bürokratie!" (FAZ). +++

+++ Nicht mehr öffentlich-rechtlich, sondern bei Sat.1 und heute um 23.15 Uhr aufgezeichnet aus Afghanistan: Kerner. Michael Hanfeld hat die Show offenbar schon gesehen und bespricht sie in der FAZ (S. 37) merkwürdig unentschieden ("Die Sache gerät nicht zu kritisch und nicht zu detailliert"). +++ Der Tsp. interviewte Kerner selbst ("Sie empfinden sich also nicht als 'Hofberichterstatter', wie Grünen-Chefin Claudia Roth Ihnen vorwirft?" - "Nein, und die Aussage von Frau Roth, die ich persönlich schätze, finde ich besonders niedlich, denn als sie Vorsitzende der Grünen wurde zusammen mit Cem Özdemir, hat sie noch am Abend der Wahl bei mir im Studio gesessen"). +++ Die BLZ wundert sich knapp über Vorfreude der Bundeswehr auf die Show. +++

+++ Wikileaks: TAZ, Berliner Zeitung und andere haben einen Appell aufgesetzt, "gegen die Angriffe auf Wikileaks" (BLZ) bzw. "gegen die Kriminalisierung von Wikileaks" (taz.de, zum Mitunterzeichnen und Kommentieren): "Dies sind Angriffe auf ein journalistisches Medium als Reaktion auf seine Veröffentlichungen." "Die Menge an Dokumenten liefert der Öffentlichkeit einen weit tieferen Einblick in staatliches Handeln als bisherige Veröffentlichungen in klasssischen Medien. ... ... Wir fordern alle Bürger, bekannt oder unbekannt, in politischen Positionen oder als Privatpersonen, auf, für die Einstellung der Kampagne gegen die Meinungs- und Informationsfreiheit aktiv zu werden...." +++

+++ Zu Christiane Schulzki-Haddoutis Beschwerde gegen die Spiegel/ Wikileaks-Kooperation (siehe Altpapier gestern) befragt, sagte Spiegel-Geschäftsführer Ove Saffe, es "bestehe kein Exklusivvertrag mit Wikileaks, es seien auch keine Spenden geflossen" (FAZ, S. 37). +++ Auf seine Idee zur Verkaufspreiserhöhung (auf 4 €) kam Saffe beim Besuch der Hitler-Ausstellung in Berlin (BLZ). +++

+++ Auch die Wochenzeitung Die Zeit ist voll auf Wikileaks ("Wer die Rächer von Julian Assange sind/ Amerikas Regierung und Konzerne beherrschen das Netz/Wir brauchen mehr Offenheit – aber mit Regeln"/ "WikiLeaks 1699: 'Datenklau' hat schon immer das Geschäft belebt"/ " Demokratie: Hat Immanuel Kant von WikiLeaks geträumt?", von Julian Nida-Rümelin). +++ Das SZ-Feuilleton geht ebenfalls nahezu ganzseitig in die Historie und startet mit  Ludwig XI. (Frankreich, 1461 -1483) und dessen Diktum "Nescit regnare, qui nescit dissimulare". +++

+++ "Was ist das für eine lächerliche Sprache, die in diesen geheimen Dokumenten und Depeschen zu lesen ist? ... So ganz eine Sprache, die aus Boulevard-Medien stammen könnte. Das alles gehört eigentlich in die Kategorie 'unausgegorener Tratsch und Klatsch', als eine Sorte von Macht-'Analysen' aus ritualisierten Halbstarken-Milieus" (der 80-jährige Friedensforschungs-Professor Johan Galtung im Neuen Deutschland über den heutigen Wikileaks-Content, sozusagen). +++

+++ Wie steht's in der Sache DuMont-Zeitungen gegen "Innocence in Danger" und Stephanie zu Guttenberg? "Auf die Frage, warum im Rahmen der Berichterstattung der Begriff 'Spendensumpf' fiel, teilte der Autor der DuMont-Zeitungen", Matthias Thieme, der FAZ (S. 37) "mit, dass man sich dazu derzeit nicht äußere, da der Verein Innocence in Danger angekündigt habe, 'Strafanzeige gegen den Autor und verantwortliche Redakteure zu erstatten'". +++

+++ Wer nicht Kerner, aber dennoch Talk sehen möchte und digital fernschaut, kann heute zu Benjamin von Stuckrad-Barre zappen. "Das macht Spaß und klüger", meint die TAZ und "wünscht der Show eine mindestens so lange Laufzeit wie 'Verbotene Liebe'". +++ Indes, aktuelle breaking news, die Lebensdauer des ARD-"Marienhofs" neigt sich 2011 dem Ende zu. +++

+++ Wer demnächst auch talken wird, im aktuellen Kernersender Sat.1: Helmut Markwort, der sich im Casting "gegen Hans Werner Kilz durchgesetzt" habe (kress.de). +++ Vier Monate, nachdem Bodo Hombach über die Presselandschaft auf dem Balkan sagte, "Oligarchen kaufen sich auf dem Balkan immer häufiger Zeitungen und Magazine, um damit politisch Einfluss zu nehmen", verkauft die WAZ-Gruppe ihre marktführenden bulgarischen Blätter an die "BG Printinvest GmbH" - eine Investorengruppe, deren "Wortführer" Karl von Habsburg-Lothringen, "Enkel des letzten österreichischen Kaisers", ist (Süddeutsche, S. 15). +++  Und Christopher Keils Besprechung des von der Journalistin und Götz-George-Ehefrau Marika Ullrich herausgegebenen Bildbandes "Rainer Wahnsinn" (Seltmann+Söhne, Lüdenscheid) ebd. hat sueddeutsche.de zum Durchklicken aufbereitet: "Manche Kombinationen aus Motiv und Schauspieler überraschen wirklich nicht, andere umso mehr."

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.