2010 ist anders

2010 ist anders

Endlich hat die ARD ihre XXL-Talkschiene ab Herbst 2011 bestückt. Dennoch gibt's Wichtigeres: EU vs. Google, DuMont-Manager vs. Neven DuMont und weitere frische "Medienkampagnen".

Zugegeben: Vor wenigen Jahren hätte es im Altpapier großes Hallo gegeben, wenn sich die ARD-Intendanten endlich auf die Sendeplätze für ihr eskalierendes Getalke geeinigt, außerdem erst recht endlich für die "Tagesthemen" einen einheitlichen Sendeplatz gefunden und nebenbei das Fernsehgenre Dokumentation erledigt hätten. Und wenn dann jeder Medien-Ressortleiter seine Einschätzung gibt, wer dabei denn nun gewonnen und verloren hat.

Doch 2010 ist anders. Wir haben den sympathischen Datenkraken Google, gegen einige von dessen Praktiken jetzt die EU-Kommission ermittelt (heise.de), wir hätten den Mega-Aufreger Wikileaks (großes Statement von Georg Mascolo heute im großen FAZ-Interview mit den Spiegel-Chefredakteuren: "Es gibt die Diskussion, wie Wikileaks die klassischen Medien verändert, mindestens so berechtigt ist die Frage, wie die Medien Wikileaks verändern") und natürlich die Neven DuMonts, in deren neverending story auch heute die nächste Eskalationsstufe gezündet wird.

Nicht bei Konstantin lag die heutige Initiative, und bei Alfred allenfalls indirekt. Sie ging von den leitendsten Angestellten der Zeitungen der Mediengruppe M. DuMont Schauberg (MDS) aus, beginnt mit den Worten "Wir, die Chefredakteure der MDS-Zeitungen" und läuft daraus hinaus, dass Uwe Vorkötter, Brigitte Fehrle, Joachim Frank, Hans-Peter Buschheuer, Frank Niggemeier (nein, nicht Stefan, noch dessen Bruder, vielmehr der Chef der Hamburger Mopo) und fünf weitere dieser Chefredakteure den verbalen Tritt, den der Dynastiepatriarch Alfred Neven DuMont seinem Erben gab, einen Tick deutlicher in eigene Worte fassen. Und sich vorher natürlich bei Vorstand und Geschäftsführern vergewissert haben, ob sie das auch dürfen ("Vorstand ...und ...Geschäftsführer ...stimmen der Erklärung ...ausdrücklich zu und begrüßen sie").

"So etwas hat es in der deutschen Zeitungswelt noch nie gegeben", meint taz.de unter der Überschrift "Kreuzigt Ihn!" (die aber nicht auf die MDS-Chefs zurückgeht, sondern mit der die TAZ Neven DuMont eher in eine Reihe mit Jürgen Klinsmann stellt).

Wenn nun meedia.de titelt: "zu Guttenberg geht gegen DuMont vor", dann hat das weder mit Verdacht von Landesverrat zu tun, den ein Bundesverteidungsminister (zumal einer von der CSU) ja wittern könnte, noch damit, dass der Verein "Innocence in danger", dessen deutscher Sektion die RTL2-Moderatorin Stephanie zu Guttenberg vorsteht, in einer kölschen Verlagsgruppe irgendeine Unschuld in Gefahr sieht. Aber doch schon mit einer weiteren zumindest gefühlten "Medienkampagne" (innocenceindanger.de; PDF), die dem Verein zufolge von den MDS-Blättern Berliner Zeitung und Frankfurter Rundschau ausginge.

Am Wochenende hatten Katja Tichomirowa und Matthias Thieme über "die andere Seite der Guttenbergschen Glitzerwelt" berichtet, über "massenwirksames Brimborium zum Schaden echter Opferhilfe" und weitere Vorwürfe gegen den Verein. Der Süddeutschen Zeitung (S. 17) zufolge will der Verein "nun mit Strafanzeigen bei der Staatsanwaltschaft Frankfurt und 'presserechtlichem Vorgehen' gegen mehrere Redakteure" reagieren. Definitiv Anlass, die online weiterhin verfügbaren Artikel zu lesen.

Damit zu Google, das kurz nach dem Streetview-Start schon wieder Schlagzeilen ganz oben erhält, weil nun die EU den kalifornischen Konzern offiziell verdächtigt, seine marktbeherrschende Stellung zu missbrauchen, um Konkurrenten zu benachteiligen:

"Google ist die dominierende Suchmaschinen (sic) in der Welt und hat in Deutschland einen Anteil von rund neunzig Prozent am Suchmaschinenmarkt. Etwa hundert Millionen Suchanfragen tippen die Deutschen jeden Tag in die Google-Seite",

informiert recht aufgeregt die eigentlich so geschliffen formulierende FAZ auf ihrer Seite 1. Die deutschen Zeitungs- und Zeitschriftenverleger sind bereits begeistert ("Chance für Google, endlich faire Spielregeln zu garantieren"). Weitere Einschätzungen der Lage: "Es hat nicht lange gedauert, bis sich Google durchsetzte - und ebenso schnell könnte es auch wieder abwärts gehen, wenn sich bewahrheitet, was die EU- Kommission immerhin für so wahrscheinlich hält, dass sie nun ein formelles Verfahren über mögliche Wettbewerbsverstöße eingeleitet hat" (SZ, S. 4).

[listbox:title=Artikel des Tages[Die DuMont-Chefredakteure erklären...##Die TAZ ordnet's ein##"Innocence in Danger" vs. DuMont (meedia.de)##Darum geht's dabei (BLZ/ Sa.)##Muss Google seine Formel offenlegen? (HB)##Wir haben Wikileaks verändert (Mascolo, FAZ)##ARD ruiniert das Genre TV-Doku (Tsp.)##Das Programm der Zukunft]]

Google "drohen hohe Geldstrafen und im schlimmsten Fall der Druck zur Veröffentlichung der geheimen Formel, nach der die Suchergebnisse gewichtet werden", meint Axel Postinett im Handelsblatt. Diese Formel sei für Google ja so wichtig wie das geheime Originalrezept für Coca Cola. Nö, so weit wird es kaum kommen, "Google soll offenlegen, welche Seiten der Konzern aus welchem Grund im Ranking bei der Suche und beim Anzeigendienst Adwords herabstuft" und müsse "eine Beschwerdestelle für Unternehmen einrichten, die sich benachteiligt glauben", glaubt die FTD bloß.

Was Geldstrafen betrifft, hat die EU-Kommission ja "bereits mehrfach hart gegen IT-Konzerne durchgegriffen", so erinnerte die DPA gestern an eine 1,7 Milliarden Euro-Strafe für Microsoft. Andererseits dürfte eine solche Google nicht gerade hart treffen, "sitzt" Google doch "auf liquiden Mitteln von mehr als 33 Milliarden Dollar". Das geht aus der anderen gestrigen Google-Meldung der DPA hervor, dem Plan zum mutmaßlichen 5,3 Mrd. Dollar-Kauf der Rabatt-Plattform "Groupon". Das Google-Imperium ist ja gewaltig genug, um an jedem Tag wenigstens zwei Topmeldungen zu generieren.

 


 

Altpapierkorb

+++ Bevor wir zur ARD-Programmreform gelangen, noch rasch zum Zweiten. Vielleicht ja zufällig am Tag, als die ARD ihre Planungen für die neue Talkschiene publik machte, hat sich Kurt Beck endlich dazu durchgerungen, wegen des ZDF-Staatsvertrags und dem erheblichen Einfluss amtierende Politiker auf den Sender, mit der geballten Macht der SPD vors Bundesverfassungsgericht zu ziehen (siehe evangelisch.de). Nun "könnte sich mehr ändern, als vielen in der Politik, vielleicht auch Beck, lieb ist" (Süddeutsche). Aber "besser spät als nie" (TAZ). +++

+++ Jetzt aber - alles zur großen ARD-Programmreform: "Durchgesetzt hat sich Frank Plasberg" (Michael Hanfeld, FAZ, S. 35). Die Verliererin: Anne Will, "die sogar fürchten musste, vom ARD-Fleischtopf entfernt zu werden, empfängt ab Herbst 2011 ihre Gäste am Mittwoch um 22 Uhr 45. Es hat ihr wenig genutzt, dass sie die meisten Zuschauer aller Talkshows im Fernsehen holt" (Tagesspiegel). Und "der scheidende ARD-Vorsitzende, SWR-Chef Peter Boudgoust, wusste kaum, wohin mit dem Selbstlob". +++ Reinhold Beckmann (dann donnerstags) "kann wohl mit weicheren Themen eine direkte Konkurrenz zum Polit-Talk Maybrit Illner im ZDF umgehen" (Claudia Tieschky, SZ, S. 17). +++ "Plasberg wäre wohl lieber bei seinem Mittwoch-Termin geblieben" (KSTA). +++ Das alles als äußerst tazzige Satire (TAZ). +++ Das alles zum Durchklicken (sueddeutsche.de). +++ Der beste Beitrag zum Thema: "Programm der Zukunft", der Kommentar von spreeathen bei tagesspiegel.de. +++

+++ Einen Schritt analytischer aber auch, ebenfalls im Tagesspiegel: Rainer Tittelbach, eigentlich ja DER Fernsehfilm-Beobachter schlechthin, jetzt aber zurecht besorgt darum, "wie ein journalistisches Genre", die TV-Dokumentation, "damit weiter ruiniert wird". Mit vielen, teils etwas wunderlichen Betroffenen-Aussagen (Thomas Frickel, Vorsitzender der AG Dok: "Erst hat man die Leute zu Filmemachern ausgebildet, hat ihnen ein wunderbares Leben in der Medienbranche suggeriert"- und jetzt das...). +++

+++Eine halbstündige ARD-Dokumentation, die laut Hans Leyendecker (SZ, S. 17) "ein Scoop" ist: "Die Lügen vom Dienst - Der BND und der Irakkrieg" des NDR-Reporters Stefan Buchen und des Dänen Poul-Erik Heilbuth (Donnerstag, 22.45 Uhr). +++ Heute fiktional im ARD-Fernsehen: "Neue Vahr Süd". Siehe z.B. hier, da, dort und da auch, natürlich. +++

+++ "Die Wirkung von solch fatalistischen Trotzreaktionen wie offline genommenen Blogs sollte man nicht überschätzen: Mehr als ein Rückzug in die splendid isolation der inneren Emigration ist das nicht, die politische Wirkung dürfte überschaubar sein..." (Felix Neumann bei Carta zur Debatte um mögliche Auswirkungen des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags auf die Blogosphäre). +++

+++ Und die Kriegsreporterin ärgert sich in der TAZ heute über das Wiederaufleben "des Jugendworts des Jahres 1876", "Depesche" (hat aber irgendwie übersehen, dass ja nicht der Spiegel oder Anne Will es wiederbelebt haben, sondern Alfred Neven DuMont letzte Woche)...

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.