Querschreiber mit Sonnenbrille

Querschreiber mit Sonnenbrille

Sonnenbrille auf und Regeln brechen: Der attraktiv unkonventionelle Style des SZ-Magazins greift multimedial um sich. Außerdem: Neues um KNDM und SFZG.

In Zeiten wie diesen dürfen auch schreibende Journalisten nicht einfach bei ihrem Leisten bleiben. Sie müssen multimedial werden: Fernsehen machen, Zeitschriften gründen und so weiter. Dafür hält dieser Donnerstag prägnante Beispiele parat.

So hat Jan Weiler, verfilmter Bestsellerautor ("Maria, ihm schmeckt’s nicht!"), einst Co-Chefredakteur des SZ-Magazins, für den um sein Profil ringenden Kultursender 3sat (der demnächst ja auch noch mit dem neuen Digitalsender "ZDF Kultur" rivalisieren muss) eine ziemlich dämliche Fernsehreihe gestaltet.

In "Weilers Welt" will Weiler, erläutert Torsten Wahl in der Berliner Zeitung, "fest gefügte Standards ins Wanken bringen, ...politisch inkorrekte Thesen aufstellen und sogar versuchen, sie zu belegen". Allerdings gelängen weder die Argumentation mit Hilfe eher abwegiger Experten, noch die Inszenierung:

"Der greise Hartmut Bachmann konstruiert eine Verschwörungstheorie, wonach Großkonzerne den Klimawandel nur erfunden hätten, um neue Produkte zu verkaufen. Jan Weiler wagt kaum einen Widerspruch, sondern guckt durch seine Sonnenbrille (was wohl unkonventionell sein soll, auf den Zuschauer aber eher unhöflich wirkt). Wer hier nicht schon abschaltet und weiterguckt, lernt immerhin einen Solarzellen-Pionier kennen, der gerne Maserati fährt..."

Oder trifft, in einem Berliner Doppeldeckerbus "welch Zufall - Wolfgang Clement", den ehemaligen Superminister und aktuellen Talkshowhengst.

SZ-Magazin-Chefredakteur war Weiler, gemeinsam mit dem dort immer noch amtierenden Dominik Wichmann, von 2000 bis 2005 - also Nachfolger von Ulf Poschardt und Christian Kämmerling. Diese beiden waren, ältere Medienbeobachter erinnern sich, wegen der Causa Kummer gefeuert worden.

Tom Kummer arbeitet wie schon seit Jahren (vgl. Netzeitung 2007) als Tennislehrer in L.A. Was treiben die Protagonisten der mehr als zehn Jahre alten Affäre sonst so? Darüber gibt der Dokumentarfilm "Bad Boy Kummer" Auskunft. Heute läuft er in schweizerischen Kinos an. Ob die Dumont-Presse von Berlin und Frankfurt aus auch schon in die Schweiz synergetisch ausgreift, wissen wir gerade nicht. Jedenfalls beschreibt Ulrike Simon (BLZ/ FR) den Film ausführlich. Dabei scheinen Gemeinsamkeiten mit Weilers 3sat-Show auf:

"Kummer trägt meist Sonnenbrille; mal läuft er am Strand, dann blickt er einsam über Bergspitzen, fährt durch die Weiten der Wüste oder die Straßen von Los Angeles. Es ist offensichtlich, dass in seinem Inneren irgendetwas gewaltig aus dem Ruder gelaufen ist. Er sagt, er sei ein Typ, der Regeln breche."

Sonnenbrille auf und dann Standards in Wanken bringen - vielleicht wird das eines Tages einmal als der Style des SZ-Magazins in die deutschsprachigen Medienwissenschaft eingehen.

Dass die Süddeutsche Zeitung (die den "Kummer mit Kummer" als eine ihrer größten Krisen und seine brutalstmögliche Aufarbeitung als eine ihrer besten Leistungen begreift), heute weder Kummer, noch die Show des Ex-Kollegen Weiler eines Wortes würdigt, versteht sich irgendwie von selbst.

[listbox:title=Artikel des Tages[Die Weiler-TV-Show (BLZ)##Die Kummer-Kinodoku (ebd.)##Kummer-Kino-Trailer (Youtube)##Broders Zeitschrift (SZ)##Freifrau-Verteidigung (meedia.de)##Der NDR und "Scripted Reality" (AG DOK)##Lage der Medien im Kosovo (FR)]]

Stattdessen wird auf der prallvollen Medienseite u.a. eine ganz neue Zeitschrift vorgestellt. Die trägt den hintersinnigen Titel "neugier.de". Hintersinnig deshalb, weil die gleichnamige Webseite nicht die Webseite zur Zeitschrift ist. Dort kann man bloß Videos gucken und die Zeitschrift zum sagenhaften Preis von 22 Euro pro Exemplar (zzgl. 2,50 Euro Versandkosten) bestellen.

"Ein angenehmes und klares Statement in einer Welt, in der guter Journalismus immer schwieriger zu finanzieren ist und nichts kosten soll", lobt Johannes Boie den Preis. Aber auch das "auf besserem Zeitungspapier gedruckte" Heft im "Format einer Tageszeitung" kommt gut weg. Inhaltlich scheint es sich um eine Art Dummy-Magazin des umtriebigen Henryk M. Broder zu handeln, dessen erste Ausgabe ums Thema Indien kreist.

Und bei den Autoren handele es sich "Querschreiber" (Boie), die auch bei Broders Online-
"Achse des Guten"
mitmischen:

"Sie alle sind Anhänger von Kapitalismus, von Atomkraft, von Gentechnik und vermutlich auch von Stuttgart 21. Weil das tatsächlich eine Minderheitenposition ist, fällt es der Gruppe leicht, sich irgendwie revolutionär zu geben."

Fragt sich bloß, warum zum Teufel denn Jan Weiler nicht mitmischt?


Altpapierkorb

+++ Zu den Debatten von gestern (siehe Altpapier), also Freifrau Stephanie zu Guttenberg und Verleger Konstantin Neven DuMont. "Für den Spott der Kritiker-Gemeinde ein leichtes Ziel", schreitet Stefan Winterbauer ein - für KNDM? Neiiiin, "Konstantingate" eskalierte meedia.de gestern newslettermäßig gern gleich mehrfach weiter. Um FSZG geht es. Man solle sich doch nicht "über ihre Adels-Herkunft ('Freifrau'-Show) oder ihr gutes Aussehen ('Moral-Barbie') lustig machen". +++ FSZG, pardon: SZG "verheddert sich im Mediendschungel". Sie "argumentiert unklug. Sie empört sich über die Juristen und Journalisten, die Kritik an 'Tatort Internet' üben, sie unterstellt ihnen sogar, sich auf der Seite der Täter zu bewegen. Das ist Polemik nahe der Demagogie" (Ursula März in der Zeit, S. 47). +++ Die Medienwächter sitzen weiter in den Startlöchern. "Mit einem Ergebnis der Prüfung sei innerhalb weniger Wochen zu rechnen", wird aus Kassel gemeldet (Süddeutsche , evangelisch.de). Sobald die zehn Folgen gesendet sind, könnte es vielleicht schon vorliegen... +++

+++ Die AG Dokumentarfilm veröffentlichte online das seit einigen Tagen kursierende interne NDR-Papier, demzufolge das Genre "Scripted Reality" auch bei den Öffentlich-Rechtlichen ausprobiert werden solle. Dabei handele es sich "um eine erste interne Diskussionsgrundlage. Sie ist bereits vor Monaten entstanden; inzwischen sind wir in unseren Überlegungen weiter", zitiert die FAZ (S. 31) den NDR-Programmdirektor Frank Beckmann. Etwas mehr frei online zum Thema bei dwdl.de. +++

+++ Gestern vormittag kamen die aktuellen weltweiten Pressefreiheits-Charts der Reporter ohne Grenzen heraus. Heute beschäftigt sich die Presse etwas damit. Petra Sorge beleuchtet in BLZ/ FR die Lage im Kosovo (Rang 92). Rund 60 Mio. Euro seien "in das Mediensystem des kleinen Landes gegossen" worden. "Mit diesem Geld hätten wir Wunder vollbringen können", sagt Medienwissenschaftler Krenar Gashi, "aber das haben wir nicht." +++ Die Freiheit der Medien in Italien (Rang 49 mit Burkina Faso) beleuchtet die TAZ zweifach. +++ Der Kölner Stadtanzeiger hat zusätzlich zur Agenturmeldung eine visuell ansprechende Klickstrecke zum Thema Pressefreiheit gestaltet. +++

+++ Heute vormittag frisch: die Zahl der aus Deutschland bei Google gegen die Streetview-Abbildung eingelegten Widersprüche. 244.237 Anträge aus 8.458.084 Haushalten in den betroffenen Städten seien es, so Google. +++

+++ Cigdem Akyol sieht den Bild-RTL-"Schnitzelkrieg", den es gar nicht gab "bis RTL kam", als Lehrstück" (TAZ). +++

+++ Kaum was mit Medien heute im Tagesspiegel. Ein amerikanischer Dokumentarfilm, den der WDR um 23.15 Uhr zeigt, wird kurz vorgestellt. +++ Indes das Radioformat "Lateline", das stellt die TAZ vor. +++ Die Süddeutsche schießt gegen "Die Vorleser", die Büchershow des ZDF: "Vor allem leidet die Sendung unter ihrer Kurzatmigkeit, die man den Moderatoren vielleicht nicht anlasten kann. Sie müssen (aber müssen sie wirklich?) in 30 Minuten acht Bücher bewältigen", schreibt Claudia Tieschky (S. 17).+++

+++ "Geht?s noch, FAS?" Sabine Horst in epd medien gegen die FAS/ FAZ-Kampagne gegen die FSK (siehe Altpapier). +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.