Er ist einer von uns

Er ist einer von uns

Ist Julian Assange der neue Kachelmann? Zumindest hätte der Rest der Welt sehr gern die Sorgen des deutschen Mannes... Was zwischen TV-Fußball und Wikileaks die Medienmenschen heute wieder bewegt.


"Ein gelungener Samstagabend vor dem Fernseher sah für den deutschen Mann bislang so aus: Spannender Krimi, kurzes 'heute-journal', dann 'Das aktuelle Sportstudio'. Mit ein wenig Glück und ohne Gottschalk oder Volksmusik zuvor sprang der Zeiger der Bahnhofsuhr soeben auf die zehn, und mit noch ein bisschen mehr Glück standen nicht Michael Steinbrecher oder Wolf-Dieter Poschmann im Studio. Dann ging es los, zunächst mit dem Bundesliga-Topspiel..."

Wer Björn Wirth, den Verfasser dieser Zeilen, kennt, kann davon ausgehen, dass sie durchaus Ironie enthalten. Und tatsächlich, betrachtet man sie statt im Onlinelayout der Frankfurter Rundschau in dem der BLZ, geht's auch schon. Da fehlt sogar die Phrase vom "deutschen Mann".

Relativ harter Kern der kleinen Sache: Das ZDF verschiebt die Anfangszeit seines "aktuellen Sportstudios“ nach hinten, damit vorher noch ein weiterer Krimi gesendet werden kann (siehe auch Tagesspiegel, dwdl.de). Nun ja.

Der deutsche Journalist, der nicht notwendig ein Mann ist und idealtypisch vom Deutschen Journalistenverband verkörpert wird, kann sich heute anders als der deutsche Fernsehfußballverbraucher freuen: "Pressefreiheit wird gestärkt" (djv.de) schallt es ebenfalls durch die Medienmedien. Z.B. Süddeutsche ("Etwas mehr Schutz", S. 15), bild.de ("Regierung will Pressefreiheit stärken") gar, Tsp. ("Besserer Schutz für Journalisten"). Am pfiffigsten berichtet die TAZ, die den auch im KSTA verwandten Artikel von Christian Rath ("Pressefreiheit gestärkt") unter der Überschrift "Weniger ungebetener Besuch" mit der Spitzmarke "Presssefreiheit 2" versieht und so in Beziehung zu ihrem Artikel "Presssefreiheit 1" setzt.

Darin geht es um die Pressefreiheit in der Ukraine, in der "ein weiterer Journalist sein berufliches Engagement mit dem Leben bezahlt haben" könnte, nämlich Wasili Klimentjew, Chefredakteur der Wochenzeitung "Novy Stil", berichtet Barbara Oertel.

Und wo sind heute die Grauzonen, das Schillernde? Auf der Medienseite der Süddeutschen, für die Gunnar Herrmann ein Porträt des Wikileaks-Gründers und -Chefs Julian Assange, dieses vielporträtierten Mannes "voller Geheimnisse", verfasst hat. Herrmann verfolgt eine dezidierte Aussageabsicht: Assange und die neuartige, kaum greifbare Organisation Wikileaks dennoch in die "alten", "etablierten" Medien einzugemeinden. Dabei konstruiert er immerhin ein beinahe Shakespeare'sches Drama.

Z.B. schildert er, wie Assange auf die etwa von den Reportern ohne Grenzen geäußerte Kritik zu reagieren pflegt, dass Wikileaks kurzerhand die Namen von Afghanen offenlegt, die mit der NATO zusammenarbeiten, und diese damit in Lebensgefahr bringt:

Assange "versicherte, seine Mitarbeiter hätten die Dokumente geprüft und Namen von 'Unschuldigen' geschwärzt. Was er damit meint, erklärte er beim Seminar in Stockholm an einem Beispiel. Assange zeigte Dokumente, in denen das amerikanische Militär berichtet, wie es einem afghanischen Radiosender Geld für pro-amerikanische Berichte zahlt. Der Chef des Senders wird mit Namen genannt. 'Er hat sich bestechen lassen', sagte Assange. Damit sei der Mann in seinen Augen schuldig. Das Beispiel ist bemerkenswert, weil es zeigt, wie Wikileaks-Mitarbeiter klassische Journalisten-Aufgaben übernehmen: Sie sichten und filtern. Und sie bewerten."

Kaum war Assange nun, so dichtet die SZ, "auf bestem Weg, ein sagenumwobener Held zu werden", platzten "mitten in die Mythenbildung ... nun die Verdächtigungen in Stockholm." Ob die schwedischen Klägerinnen Recht haben oder die CIA dahinter steckt, kann die Öffentlichkeit einstweilen so wenig wissen wie sie im Fall Kachelmann (den Herrmann nicht nennt) Bescheid weiß. Jedenfalls, Assange "kritisierte Medien und Staatsanwaltschaft, weil sie seinen Namen schon publiziert hatten, bevor die Vorermittlungen eingeleitet worden waren. Die Zeitungen hatten die Informationen von einem anonymen Tippgeber bekommen, der nun selbst von den strengen Quellenschutzgesetzen profitiert, die Assange immer als vorbildlich gepriesen hat."

[listbox:title=Artikel des Tages[Dramatisches Assange-Porträt (SZ)##Die Medienfreiheit im Kleinen, der Ukraine (TAZ)##Die Lage der TV-Schauspieler (dwdl.de)##Youtube vor dem Landgericht Hamburg (TAZ)]]

Was sich zum Ausgang prophezeien lässt: Es "wird wohl trotzdem der Eindruck bleiben, dass da auf der virtuellen Richterbank einer sitzt und Urteile fällt, der selbst nicht fehlerfrei ist. Auch dies ist ein Vorwurf, den etablierte Medien oft zu hören bekommen."

Er ist, das aufklärungswillige Portal Wikileaks ist, diese ganze neuen Medien sind einer bzw. welche von uns, das möchte die Süddeutsche offenbar vor allem sagen.


Altpapierkorb

+++ Großes dreiseitiges Medien-Special in der Zeit (S. 21-23). "Ein Spickzettel für Innenminister Thomas de Maizière" soll diesem zeigen, wie Google, Facebook usw. kontrolliert werden müssten. Götz Hamann interviewt Peter Fleischer, "Google's Global Privacy Counsel" ("Internetunternehmen müssen immer ein Gleichgewicht finden zwischen dem Speichern von Daten, das dazu beitragen soll, einen Dienst zu verbessern, und dem Wunsch mancher Nutzer, Daten wieder zu löschen"). Er geht außerdem der Frage nach, welche Daten von Nichtkunden Facebook zu speichern pflegt. Und aus den USA berichtet Eva Schweitzer vom Kampf aufs Äußerste zwischen Rupert Murdoch und NYT-Verleger Arthur Sulzberger. Derzeit frei online: nichts von alledem. +++

+++ "Google vergisst nicht. Selbst marginales 'Fehlverhalten' bleibt öffentlich abrufbar und weltweit präsent" (aus einem digitalen Vorabdruck bei faz.net aus dem Buch "Die Casting-Gesellschaft" von Bernhard Pörksen und Wolfgang Krischke). +++

+++ Schlecht geht es den Fernsehdarstellern. Bzw., "je weiter man die Produktionskette nach unten geht, um so schlechter wird die Stimmung." Die Einkommen seien "seit Eintreten der Finanzkrise im Herbst 2008 um bis zu 50 Prozent gesunken", berichtet dwdl.de, das sich das alles von Heinrich Schafmeister, der das als Schatzmeister der Schauspielergewerkschaft BFFS auch wissen wird. Dass dwdl.de allerdings ausschließlich aufschreibt, was Schafmeister sagt ("Davon berichten laut Schafmeister auch die Agenten"), schmälert die Überzeugungskraft des Berichts. +++ In der Produktionskette des Journalismus nach unten schaut sueddeutsche.de (bzw. wuv.de), und zwar zu den rund 750 Autoren, die sich mit Online-Artikeln zu "Haus, Hobby, Pflanzen, Tieren, Gesundheit" ein "Zubrot" bei der Burda-Beteiligung suite101.de verdienen. +++

+++ Der Washington Times geht es wie vielen amerikanischen Zeitungen schlecht. Sie hofft in dieser Lage, von ihrer besonders bizarren Historie, d.h. von ihrem Gründer Sun Myung Moon zu profitieren, berichtet die Süddeutsche. +++ Geschäftsmodelle für Medien im Internet? "Schnorrermedien", würde Helmut Markwort sagen. Bzw. sagte er das im Frankfurter Presseclub, wo Annette Milz ihn befragte. Die Druck-FAZ berichtet (S. 33), ebenso wie von der "First Steps"-Preisverleihung am Dienstag (frei online dazu: die TAZ). faz.net indes berichtet äußerst ausführlich über flattr, das äh... Spenden-Tool. Und klärt, wo der frisch verlängerte RTL Group-Chef Gerhard Zeiler seinen Urlaub verbracht hat ("auf Mahé.... Das ist eine schöne Insel auf den Seychellen" - ein Beitrag aus dem Wirtschaftsressort). Und hat noch etwas völlig anderes: eine Besprechung von Spike Lees neuer New-Orleans-Dokumentation "If God Is Willing and Da Creek Don't Rise" im US-Fernsehen. +++

+++ Hätten Sie das gedacht? Anhänger der NPD schauen im Fernsehen gern "Die Simpsons" und "Dr. House" (Tagesspiegel). +++

+++ Und spannend wird es morgen vor dem Landgericht Hamburg spannend, wenn "über die Sperrung von 600 weiteren Musikvideos" entschieden wird (TAZ). +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.