Pressefreiheit à 6000 Euro

Pressefreiheit à 6000 Euro

In die Rangelei zwischen FAZ und ARD greift jetzt auch Die Zeit schwungvoll ein. Sie wirft den Öffentlich-Rechtlichen vor, ihre Freiheit gar nicht zu nutzen. Der Wert der Pressefreiheit wurde gerade in Dresden beziffert.

Wer diese Kolumne halbwegs regelmäßig verfolgt, weiß: Es werden zahllose Debatten geführt, die Wochen, Monate oder Jahre dauern, und immer mal wieder, mehr oder weniger, hochkochen.

Auch über den Wikileaks-Coup bzw. die Frage, ob er einer ist (vgl. Altpapier gestern), wird heute weiter diskutiert. Mehr dazu weiter unten, denn hauptsächlicher geht es um einen Prozess in Dresden, in dem der Wert dessen, was als Pressefreiheit umschrieben wird, jetzt staatsanwaltschaftlich auf 150 Tagessätze à 40 Euro taxiert wurde. Und, erstmal, um die Hanfeld-ARD-Keilerei (siehe Altpapiere vom 26.7. & vom 22.7.).

Während auf Michael Hanfelds FAZ-Medienseite heute nichts über diese Auseinandersetzung steht (aber gleich links daneben ein Leserbrief der NDR-Rundfunkratsvorsitzenden Dagmar Gräfin Kerssenbrock, der in den Aufruf mündet: "Es ist Zeit, die Gegner einer informierten Gesellschaft und einer freien Presse gemeinsam an anderer Stelle zu bekämpfen."), legt das Feuilleton der Zeit nach. Ganz vorn drauf greift Jens Jessen, bekanntlich einer unser schwungvollsten Hochfeuilletonisten, Hanfeld kräftig unter die Arme.

Er nennt z.B. den "Quotendruck", der auch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen herrscht, die "Mutter aller Missstände":

"Wann immer eine gute Sendung aus dem Programm genommen wird, heißt es: Die Quote war schlecht, und wann immer eine schlechte Sendung im Programm gehalten wird: Die Quote war gut. Über Qualität und Angebot von Sendungen nach der Zuschauerquote zu urteilen bedeutet aber für die öffentlich-rechtlichen Sender, dass sie sich wie reine Wirtschaftsunternehmen verhalten (...). Warum sollen Sender, die sich wie Privatakteure auf dem Markt verhalten, eine Gebühr bekommen, die sie von der Rücksicht auf den Markt befreit? Dies ist die Legitimationskrise des öffentlich-rechtlichen Rundfunks: Er wird für eine Freiheit bezahlt, die er nicht nutzt."

Überschrift: "Vom Volk bezahlte Verblödung", zur Illustration dient ein Foto des ARD-Stars Hansi Hinterseer. Viele Argumente sind alt bekannt und nicht besonders konkret (konkreter hingegen der Tagesspiegel; da vergleicht Markus Ehrenberg die Daily Soaps von ARD und RTL und schürt ein wenig die Hoffnung, die ARD könnte ihren weder erfolgreichen noch guten "Marienhof" bald aus dem Programm kippen; dazu unser Foto ). Jedenfalls sollten Peter Boudgoust, Gräfin Kerssenbrock & Co ihre Sekretariate schon mal neue Leserbriefe aufsetzen lassen.

Wer Aktuelles schätzt, ist mit dem flankierenden (noch nicht frei online verfügbaren) Zeit-Artikel "Was dürfen die im Netz?" auf S. 44 besser bedient. Anna Marohn beschreibt recht enspannt, wie sich Hanfeld, Boudgoust usw. "prügeln", "keilen", aufeinander "herumhacken".

Die wahren Verantwortlichen seien die Ministerpräsidenten und ihre Rundfunkpolitik. Sie hätten statt der ARD-Gremien ("deren Mitglieder ... ständig von 'wir' sprechen, wenn sie diejenigen meinen, die sie prüfen sollen") lieber unabhängige Kommissionen mit den Drei-Stufen-Tests beauftragen sollen. Aber wie die Fälle Nikolaus Brender und Uwe Wilhelm (der sich gestern aus seinem Regierungssprecher-Amt verabschiedete, um auf den Intendanten-Posten in München zu wechseln; siehe KStA) zeigen, wollten sie das bewusst nicht:

"Wer öffentlich-rechtliche Sender wie sein Lehen behandelt, der kann nicht klare Grenzen setzen, dem müssen selbst welche gezeigt werden, Aber das kann wahrscheinlich nur noch ein amtierende Verfassungsrichter."

Dieser letzte Satz bezieht sich auf den ehemaligen Verfassungsrichter Hans-Jürgen Papier und sein im Auftrag der ARD-Gremien erstelltes merkwürdiges Gutachten "Presse macht Rundfunk".

Dazu liegt übrigens eine Art Skizze für ein Gegengutachten vor, die Papier zwar allen hierarchisch gebotenen Respekt erweist, aber aufzeigt, wo auch bei wohlwollender Betrachtung Schwachpunkte liegen:

"Dass dies aber die These rechtfertigt, der Mediennutzer könne nicht erkennen 'welche Angebote neutral sind und welche tendenziös' und dass es daher einer Markenbildung öffentlich-rechtlicher Angebote im Internet bedürfe, wird sich angesichts der Qualität und Vielzahl der eingeführten privaten Online-Auftritte schwer belegen lassen",

argumentiert Rolf Schwartmann, Leiter der Kölner Forschungsstelle für Medienrecht, im Internetauftritt des Kölner Stadtanzeigers.

[listbox:title=Artikel des Tages[Jessen vs. Öffentlich-Rechtliche (Zeit)##Tsp. konkreter über ARD-"Marienhof"##Eine Art Gegengutachten (KStA)##TAZ über merkwürdigen Prozess in Dresden]]

Nun ist wahrscheinlich kaum ein anderes Genre der deutschen Rechtssprechung derart von der Rasanz der Entwicklungen überall überfordert wie das Medienrecht. Davon zeugen auch die Berichte vom Dresdener Prozess gegen die Journalisten Arndt Ginzel und Thomas Datt, die aktuell in FAZ und SZ, in TAZ und BLZ stehen und sich allesamt bemühen, den "verwirrenden und verfahrenen Prozess", die aufgelaufene "Reihe von Auffälligkeiten" zusammenzufassen. Gut ins Thema ein führen der ausführliche Artikel im aktuellen "journalist"-Heft, der aber nicht frei online zu haben ist, und auch zeit.de neulich (für das Ginzel und Datt u.a. schrieben).

Nun soll am 13. August das Urteil fallen. Wenn die beiden Angeklagten tatsächlich wegen übler Nachrede und Verleumdung zu 6000 Euro in 150 Tagessätzen verurteilt werden sollte, wie es die Staatsanwaltschaft will, dürfte das überall in der Presse als Schlag gegen die Pressefreiheit betrachtet werden.

Am besten fasst heute die FAZ (S. 13, derzeit nicht frei online) die akkumulierten Merkwürdigkeiten der Chose zusammen. Dieser Artikel beginnt so:

"'Sind auch überregionale Medien da?', will Richter Hermann Hepp-Schwab zu Beginn der Verhandlung im Saal 42 des Dresdner Amtsgerichts wissen. Die Frage erübrigt sich, denn das mediale Interesse ist groß; neben Reportern lokaler Medien sind an diesem zwölften Verhandlungstag zahlreiche Vertreter überregionaler Radio- und Fernsehanstalten sowie Zeitungen im Saal, und das nicht zum ersten Mal in diesem Verfahren. Dass es dennoch hier stattfindet, ist lediglich eine Merkwürdigkeit in dem an Merkwürdigkeiten reichen Prozess. Das Landgericht, führt Richter Hepp-Schwab aus, sei nämlich für das Verfahren zuständig, wenn ein überregionales Interesse bestehe. Dieses aber sah das Landgericht nicht gegeben und gab den Fall an das Amtsgericht ab, was auch nicht erwähnenswert wäre, zählte nicht der Präsident eben dieses Amtsgerichts zu einer der Hauptpersonen in besagtem Fall."

 


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+++ "Friedensnobelpreis für WikiLeaks!", fordert, nicht ganz unironisch, Wolfgang Michal bei Carta. Wo aber auch Irritation ob des "Gestus der Offenbarung, (der) naiven Prahlerei der Akteure, (des) heroische Gestus in einer postheroischen Zeit" herrscht. +++

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+++ Krise hin, Krise her, noch mehr Presse-Leser wurden entdeckt (Tsp.). Das Rechnerische erklärt detaillierte meedia.de. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag