Der Mesut Özil der WM-Kolumnisten

Der Mesut Özil der WM-Kolumnisten

Im Brennpunkt des Medienmedien-Geschehens heute: der WDR, in dem plötzlich doch wieder Jauch-kritische Gremien-Gremlins auftauchen. Und der Ex-Doris-Heinze-Sender NDR.

Was für ein aufregendes Fußballspiel schon wieder! Viele haben es gewiss vor Computerbildschirmen verbracht, um auf evangelisch.de Nikolaus Schneider zu folgen. Livetickernd formulierte der Präses so einige Probleme des Spiels ja doch präziser ("Fast alle singen mit, besonders vollkehlig Cacau - Klasse!"/ "Chancen bleiben Zufall"/ "Angsthasenfußball"/ "Poldi stößt vor, aber er ist heute von der Rolle, er versemmelt es wieder"/ "Gefährlich 'deren' Boateng"/ "Der Reporter sagt: Das Spiel hätte von der SDpannung gelebt. Blödsinn! Von der Nervosität höchstens..."/ "ein Gewürge, mach End, o Schiedsrichter, mach Ende!") als Kollege, äh, Bartels, Tom, in der offiziellen ARD-Fernsehreportage.

Der Mesut Özil der WM-Kolumnisten oder zumindest (Özil ist ja Werbeträger der Bild-Zeitung) der medialen Metaebene könnte allerdings Deniz Yücel von der TAZ sein. Wer künftig noch irgendein gutes nikotingraues Haar am Gossengoethe F.J. Wagner zu finden wähnt, sollte lieber ein schwarzes von Yücel nehmen. Wobei sich der Charme seiner Kolumnen im Zusammenspiel mit den Kommentaren auf taz.de erschließt. Mehr WM-Kolumnen unten im Altpapierkorb. Hier jetzt zum Tagesgeschäft der Medien.

Im Brennpunkt stehen heute WDR und NDR, sozusagen Gerhard Dellings Heimatanstalten. Der WDR ist bekanntlich das größte Mitglied der gerade moderatorenmäßig expandierenden ARD. Man stelle sich nun einmal vor, es sei schon WM 2014. Irgendwo in Deutschland präsentiert irgendein Bier das Public Viewing irgendeiner Partie, die Günther Jauch mit Kloppo oder Scholli coanalysiert - aber auf welchem Sender? Das zum Beispiel könnte Claudia Tieschky (Süddeutsche) Ruth Hieronymi gefragt haben.

Jedenfalls entgegnete die Rundfunkratsvorsitzende des WDR: "Wenn nur der halbe Jauch zur ARD kommt, ist das nicht unproblematisch, da stellt sich eine Grundsatzfrage." So kann die SZ jetzt von der möglichen "Rückkehr der Gremlins" (siehe auch Altpapier vom 11. Juni, incl. Illustration) schreiben, die den von der RTL herandrängenden Jauch zum zweiten Mal vergraulen könnten.

Hieronymi, als MdEP auch eine versierte Politikerin, schürt mit Termini wie "intensive Debatte" und "konstruktive Lösung" weitere Spannung. Der WDR-Rundfunkrat hat es allerdings auch nötig, ein wenig Eigenständigkeit zu demonstrieren. Dass es sich bei ihm nicht um das Abnickgremium der Anstalt handelt, glauben ja nicht viele Nichtmitglieder.

"WDR-Rundfunkrat segnet 'wdr.de' ab, Verleger toben", überschreibt die FAZ (S. 39) ihren Bericht zu den allerneuesten Dreistufentest-Ergebnissen:

"Demnach stehen für 'wdr.de' dieses Jahr rund 18,5 Millionen Euro zur Verfügung, 2011 sind es 20,7 Mio., 2012 sogar 21,2 Mio. Euro. Allein an den Zahlen lässt sich die Online- Expansion ablesen. Den Kritikern verschlägt es darob den Atem. 'Das Durchwinken der ARD-Online-Expansion durch die Rundfunkräte ist eine Absage an ein ausbalanciertes, faires System von öffentlich-rechtlichen und privaten Medien', sagte Wolfgang Fürstner, Hauptgeschäftsführer des Zeitschriftenverlegerverbands. Es müsse die Frage erlaubt sein, 'ob es nicht an der Zeit ist, einen der beiden Staatssender zu privatisieren'“.

"Darob" - wenn auch im größten Furor noch Raum für ein seltenes Pronominaladverb bleibt, ist natürlich Michael Hanfeld der Verfasser. Sein heutiger Artikel steht noch nicht frei online, aber der auch an dieser Stelle erwähnte gestrige zum gleichen Thema (u.a.: kika.de). Falls es interessiert: Hier hält der teure Internatauftritt des WDR die offiziellen Mitteilungen zu den frischen veröffentlichten Genehmigungsbeschlüssen parat.

[listbox:title=Artikel des Tages[SZ übers Gremlins-Comeback##Aktuelle Deniz Yücel-Kolumne (TAZ)##Die Zahlen der DPA (FTD)##WAZ-Serbien auf dem Zeitungsmarkt (kress.de)]]

Immerhin 90.000 Euro fließen in die öffentlich-rechtlichen Kassen von Seiten Doris Heinzes, der früheren NDR-Fernsehfilmchefin (siehe u.a. TAZ). Sie und der Sender schlossen einen arbeitsrechtlichen Vergleich. Das berichtete bereits gestern das Hamburger Abendblatt, dessen lokale Artikel im Prinzip hinter einer Paywall stehen.

Ein wenig tiefer in der Sache gehen heute wiederum FAZ und SZ. Erstere unter der Überschrift "Und was ist mit der Rente?" In letzterer weiß Hans Leyendecker hinzuzufügen, dass die Staatsanwaltschaft Hamburg weiterhin wegen Betrugsverdacht ermittele. Das könne wegen der Einstufung von verantwortlichen Redakteuren öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten als Amtsträger durch den Bundesgerichtshof brisant werden. "Aber selbst wenn" das alles "für Heinze ungünstig laufen sollten, gilt es unter Experten als ausgeschlossen, dass davon ihre Pensionsansprüche betroffen sein könnten"


Altpapierkorb

+++ Der Miro Klose der WM-Kolumnen: Matthias Kalle. Er weiß ja, dass es im Prinzip "um Kultur, Pop, Medien, Politik - und wie immer auch um Leben und Tod" geht, aber wenn er nun Fußball-TV schaut und die Experten reden hört, dann "vermischt sich (alles) zu einem großen, undurchschaubarem Nichts, das mich ratlos zurücklässt" (Tagesspiegel; beim "Kollegen Bartels", von dem auch die Rede ist, handelt es sich um Literaturredakteur Gerrit Bartels). +++

+++ Brennpunkt Nachrichtenagenturen. Gestern stellte die DPA in Hamburg ihre Geschäftszahlen vor, die wegen des bevorstehenden Umzugs nach Berlin rot sind. Süddeutsche: "Es war noch nie so schlecht, aber alles wird gut". Frei online berichten TAZ, FTD und mit Agenturmaterial von EPD und DPA der Tagesspiegel, über dessen DPA-Kündigung das letzte Wort vielleicht noch nicht gesprochen sei (TAZ). +++ Indes in der FR: was der amerikanische Fernsehsender CNN mit seiner Kündigung der Nachrichtenagentur AP bezweckt, und was das mit der in Prag entwickelten "völlig neuen Technologie" Newstin zu tun hat. +++

+++ Digitalien: Von einem womöglich wegweisenden US-Gerichtsurteil im Sinne des "Digital Millennium Copyright Act" berichtet die FTD. Es siegte Google/ Youtube gegen den traditionelleren Medienkonzern Viacom (u.a. MTV). +++ Nachträge zur Internet-Grundsatzrede des Innenministers Thomas de Maizière (siehe Altpapier gestern): politik-digital.de präsentiert die ganze Rede auch als Video (hier, zweites Video von oben), carta.info sie jetzt auch zum Nachlesen. +++ Inzwischen frei online: der gestrige Leitartikel der FTD dazu ("Mit seinen Allgemeinplätzen wirkt" de Maizière "fatalerweise doch zu sehr wie viele andere Politiker, wenn es um das Internet geht: ratlos").+++Von "de Maizières Käseglocke" schreibt der Grüne Malte Spitz, der sich per Doppelschlag zu Wort meldet: mit einem Gastkommentar bei zeit.de und eigenen zehn Thesen auf carta.info. +++

+++ Ulrike Simon erzählt in der FR, was aus dem einstigen "FAZ Business Radio" wurde und noch werden könnte: Jetzt gehört der hessische Radiosender, der zuletzt "Main FM" hieß, zur französischen NRJ-Gruppe ("Hit Music Only") und zofft sich mit privater wie öffentlich-rechtlicher Konkurrenz um den "Wortanteil" in seinem Programm. +++ Interessiert das in Berlin? Nein, haben sich die Medienseitenmacher der DuMont-Presse gedacht und bringen in der BLZ ausnahmsweise etwas völlig anderes: wie die Kundenmagazine der Berliner Verkehrsbetriebe "mit Ersatzverkehr, Baulärm und Verspätungen umgehen". +++

+++ Gutes Timing des Tagesspiegel, das "Tigers Süper WM Stüdyo" auf dem Digitalkanal ZDF-Neo heute vorzustellen, wenn dort das gestrige Spiel gegen Ghana nachbereitet werden soll (23.00 Uhr). +++ Gestern durchgerutscht: die Vorstellung der Studie "Spitzenfrauen im Fokus der Medien", "an der Wissenschaftlerinnen von der Universität Lüneburg und der Freien Universität Berlin zwei Jahre geforscht haben" (FR). +++ Das verzwickte Match der deutschen WAZ-Zeitungsgruppe gegen Serbien und dessen Vizepremier Mladan Dinkic schildert heute die Süddeutsche (frei online bei kress.de). +++


Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.