iPads und Radiergummis

iPads und Radiergummis

Vielleicht ein epochaler Tag für die Bundesnetzpolitik: Der Innenminister hält eine erstaunlich wenig kritisierte Grundsatzrede, ein freiheitskämpferischer Abgeordneter wirft sich fürs iPad in die Bresche...

Gestern morgen schlug Bundesinnenminister Dr. Thomas de Maizière 95 Thesen an die Tür der ... Quatsch, der Minister hielt lediglich eine Grundsatzrede, die allerdings vorbildlich übersichtlich strukturiert war: "vier Prinzipien staatlichen regulatorischen Handelns in der Internetwelt", "drei Funktionen des Staates rund um das Thema Internet" sowie vierzehn Thesen, die vom Referat SKIR des Ministeriums gleich auch als vorschriftsmäßiges PDF ins Netz gestellt wurden.

Carta.info hat ausgewählte Originalzitate verschriftlicht und stellt Mitbürgerinnen und Mitbürgern, die ihren Tagesablauf hinreichend entschleunigt haben, die 51-minütige Rede auch als Audiodatei zur Verfügung.
(Und falls dann immer noch Zeit sein sollte: Frank Schirrmacher und Mathias Müller von Blumencron im entspannten FAZ-Gespräch von gestern, über mit Staub und Blut zu erzählende Geschichten und halt Beschleunigung, jetzt auch frei online).

Den Bundesinnenminister selbst stellte die noch aktuelle Ausgabe der Zeit (deren gedruckte Artikel im im Lauf der Woche nach Erscheinen seehr allmählich ins freie Netz gestellt werden) als sanften Freund des "Kleinen Prinzen" vor:

"'Das hat mich sehr berührt', sagt der Minister: 'Denn so funktioniert auch unser Rechtsstaat: Wir geben Befehle, von denen wir annehmen, dass die Leute sie in der Regel auch ohne Zwang befolgen.'"

Am Ende fragt die Wochenzeitung skeptisch,

"ob sich die digitale Revolution mit der Weisheit des kleinen Prinzen beherrschen lässt."

Ob sie sich lässt, bleibt einstweilen offen. Die Rede des Ministers aber zog sehr sehr viele Reaktionen in der Internet-typischen Verästelung nach sich, die carta.info am emsigsten zusammengetragen hat. Überwiegender Eindruck: Sie erntet erstaunlich wenig Hohn.

"De Maizières Offenheit zum Gespräch auch mit Andersdenkenden und Kritikern einer Ausweitung der Internetüberwachung stieß vielerorts auf Anklang", bilanziert Stefan Krempl (heise.de).

Der Minister sollte "vielleicht ... den Bürgern etwas mehr Vertrauen entgegenbringen". Mehr Kritikpunkte fallen auch der TAZ nicht ein. "Das Internet wird konservativ", titelt sueddeutsche.de und sucht zahm nach "Widersprüchen in de Maizières Ausführungen", um am Ende aber doch Carta und Co die Kritik zu überlassen.

Was die Konservativen selbst meinen: Die Rede zeige "ein hohes Maß an Aufgeschlossenheit für die Phänomene, die das Leben mit dem Datennetz bestimmen. Allein bei der versprochenen Umsetzung im Kleinen sind schon die Punkte zu erkennen, gegen die Nutzer, Provider und Juristen protestieren werden." (Detlef Borchers, FAZ).

Vielleicht haben sie alle nicht lange genug hingehört. Kai Biermann (zeit.de) war live dabei im Maschinenöl/Diesel-Ambiente des Berliner Technikmuseums, in dem der Minister sprach, und schreibt: Es "klingt nicht unvernünftig", was de Maizière sagt, aber: "Je weiter die Rede voranschreitet, desto problematischer werden die Ideen." Immerhin "ein Fortschritt, dass sich überhaupt einer" aus der Regierung "zusammenhängende Gedanken" ums Internet machte.

Die Verlagsschwester tagesspiegel.de sieht es in kürzerer Form ähnlich. "Diese Ideen klingen sehr deutsch und werden international nicht durchsetzbar sein - zum Glück". Damit meint Markus Hesselmann vor allem des Ministers stärkste Metapher: den "digitalen Radiergummi". (Oder heißt es das? Schon diese Urfrage hat der oder das Radiergummi ja mit dem Blog gemeinsam..).

Jedenfalls ist die entsprechende Domain bereits geblockt und kann womöglich versilbert werden.

[listbox:title=Artikel des Tages[Die amtlichen Ministerthesen##...auch zum Mit-Voten übrigens## Ministerporträt in der Zeit##Ministerredenkritik bei zeit.de##Jimmy Schulz' magische Rede (BLZ)##Öff.-rechtl. Onlinefurzen (kika.de)]]

Wer die Metropole Berlin kennt und weiß, wie sie brummt, ahnt, dass de Maizières natürlich nicht die einzige Grundsatzrede gestern gewesen sein kann. Weiter nach vorn in die Schlagzeilen zumindest einiger Papierzeitungen ist der bekannte oder zusehends bekannt werdende Bundestagsabgeordnete, "Vater und Freiheitskämpfer, Unternehmer" Jimmy Schulz geprescht. Im Kastentext auf S.1 der Süddeutschen schreibt Johannes Boie:

"Gemessen an dem, was Parlamentarier im Bundestag sonst so von sich geben, war die Rede durchschnittlich. 'Datenschutz ist bekanntlich ein mir ganz besonders wichtiges Thema', sagte der Abgeordnete Jimmy Schulz (FDP) am Donnerstag. Die Stichwörter seiner Rede las er von seinem iPad ab."

Welch bunt-vermischtes oder auch grundsätzliches Problem eines derzeit geltenden iPad-Verbots im Bundestag sich daraus ergab, schilderte eine Meldung der Agentur AFP, auf die Medien wie der Berliner Kurier und stern.de gern einstiegen... Welch schmissig-magisches Redenabschluss-Zitat sich Schulz kurz vorher noch auf dem Pad ergoogelt haben muss, enthüllt Marin Majica (FR/ BLZ).

Und dann war da ja noch der vielleicht kommende Mann für Grundsatzreden schlechthin, Joachim Gauck. Am Rande seiner gestrigen Ansprache teilte er mit, entnehmen wir focus.de, dass "die jüngere Generation zu viel Zeit im Internet verbringe".
 



Altpapierkorb

+++ Mit der Überschrift "Der falsche Kandidat" kann der Internetauftritt des Focus immerhin Disktinktion erzeugen. Wie das Heft unter dem neuen Chefredakteur Wolfram Weimer zum "Orientierungsmagazin" werden soll, schildert dwdl.de. Ferner sollen die Ressorts "Medien" und "Modernes Leben" im Kultur-Ressort zusammengefasst werden. Jawohl, ein Medienressort gibt es im Papier-Focus. Diese Woche darin: "Das ultimative Glossar der unentbehrlichen Fernseh-Fußball-Fachbegriffe". +++

+++ Was die Medienressorts im engen Sinne der Medienseiten beschäftigt: Neue Drei-Stufen-Tests sind so ordnungs- wie erwartungsgemäß abgeschlossen (siehe evangelisch.de). Meinungen dazu: "Was in diesen Tagen an Erkenntnis kommt, präsentiert die föderale ARD wieder einmal nicht als großen Wurf, sondern als große Kleinstaaterei" (Claudia Tieschky, SZ). "Niemand wird behaupten, dass es sich die Rundfunkräte leicht machten - 169 Seiten umfasst der Abschlussbericht des BR-Rundfunkrats zu DasErste.de, das Konvolut, das an die ...die Bundesländer geht, ist rund 4000 Seiten dick. Und doch lässt sich das Fazit kurz fassen: Die ARD kann im Internet auftreten, wie sie es sich wünscht, nur bei den Laufzeiten fiktionaler Programme muss sie sich ein wenig einschränken" (Michael Hanfeld, FAZ). +++ Die FAZ bringt aber auch Feuer ins etwas dröge Thema, indem sie ein öff.-rechtl. Internetangebot konkret bespricht: das Feuerfurzen auf kika.de. +++

+++ Breaking News von faz.net/ DPA: Die juristische Aufarbeitung des Doris Heinze-NDR-Konflikts  schloss mit einem Vergleich. "Nicht produzierte Drehbücher werden rückabgewickelt", d.h. sie sind wieder auf dem Markt. +++ Heinzes Nachfolger Christian Granderath stellt die SZ-Medienseite anhand des von ihm als Produzent fürs ZDF hergestellten TV-Films "Kongo" vor, der auf dem Münchner Filmfest läuft. +++

+++ Hans Dichand "ist noch nicht unter der Erde" (TAZ), aber um seine Krone wird schon gekämpft, weiß auch die FR/ BLZ zu berichten. +++

+++ Immer öfter ist die TAZ-Medienseite zu klein für alles, was passiert. Zum Glück steht das tazzwei-Ressort als Ausweichfläche zur Verfügung. Dort ein großer Steffen Grimberg-Artikel über den Überlebenskampf der deutschen Nachrichtenagenturen. +++

+++ Gar nichts Neues von Daniel Bouhs heute? Doch klar, in der BLZ zur vorläufig finalen, erwartungsgemäß negativen Radio Paradiso-Entscheidung in Berlin. Vielleicht war das Engagement der evangelischen Kirche "zu dürftig". Im Tagesspiegel freut sich Paradiso-Geschäftsführer Matthias Gülzow "nun darauf, juristisch gegen die Entscheidung vorgehen zu können". +++ Siehe selbstredend auch evangelisch.de. +++

+++ Journalismus und PR: auch an diesem Mittwoch wieder ein Thema von TAZ-Medienkriegsreporterin Silke Burmester. Ein Anlass: der neue eltern.de-Babyshop aus der Journalismus-Hochburg Gruner+Jahr, "powered by Baby Walz". Aber immerhin ohne Furz-Funktionalität. +++ Ungerecht! Journalisten werden von der Deutschen Telekom "benachteiligt" (meedia.de), zumindest, wenn sie Journalisten-Vorzugspreise verlangen. +++ Noch etwas fließender nun: die Grenzen zwischen Journalismus und Unternehmens- bzw. Anstaltenkommunikation. Ralph Kotsch, einst Medienseitenchef der Berliner Zeitung, kehrt vom RBB als stellvertretender Chefredakteur zur BLZ zurück. "Meine Liebe zum Printjournalismus hat mich letztlich bewogen, dieses attraktive Angebot anzunehmen", sagte er der Süddeutschen.
 

Neues Altpapier gibt es wieder am Donnerstag.